Novembermond
Amsterdam. Hamburg. Aber in all den Jahren hörte Jeanne nie damit auf, ihre Lakaien hinter mir herzuschicken. Es ist ihnen immer wieder gelungen, mich aufzuspüren, und ich musste sieben von ihnen töten.“
„Gab es wirklich den Auftrag, dich zu töten?“
„Damals glaubte ich es, inzwischen bin ich nicht mehr sicher. Vermutlich sollten sie mich lebend nach Paris zurückbringen.“
Julian nickte. „Schließlich bist du ihr nur so nützlich.“
„Am dritten März ist der Jahrestag des Widerstands. Vielleicht wird sie es wieder einmal versuchen, vielleicht auch nicht.“ Er lächelte matt. „Die Ungewissheit ist stets zermürbend.“
„Bisher waren ihre Versuche doch vergeblich. Und du bist nicht allein. Wir werden vorbereitet sein.“
„Ich weiß. Wenn du das Arkanum bis dahin bewältigt hast“, fügte Pierre hinzu.
„Davon gehe ich aus.“
„Ich würde die Gemeinschaft nie in Gefahr bringen.“
„Das weiß ich. Mach dir keine Sorgen. Nur, wenn Jeanne persönlich käme, könnte es Schwierigkeiten geben“, stimmte Julian zu. „Aber sie wird Paris nicht verlassen, auch nicht wegen dir.“
„Dann hätte ich keine Chance“, stellte Pierre sachlich fest.
Julian zuckte die Achseln. „Sie ist sehr mächtig, das stimmt. Und wenn sie deine Meisterin gewandelt hat, ist ihr Einfluss auf dich nicht unerheblich. Aber du kannst ihr widerstehen. Du bist nicht mehr an Cecile gebunden, und dein Schicksal hat keinen Meister außer dir selbst. Außerdem solltest du deine eigene Kraft nicht unterschätzen. Ich habe sie heute erlebt.
Es ist lange her, dass wir gegen die Unsrigen kämpfen mussten, aber wir haben es bereits getan, vergiss das nicht. Hier in Berlin sind wir stark. Als Gemeinschaft, wenn wir unsere Macht verbinden. Hab Vertrauen.“
Pierres düsterer Blick erhellte sich, und er nickte.
„Noch etwas, Pierre. Wenn es deinetwegen tatsächlich zu einer Auseinandersetzung kommt, müssen die Gründe dafür offengelegt werden. Jedem, der sich für dich einsetzt. Du wirst den Inneren Kreis über dein böses Blut informieren. Einverstanden?“
Pierre nickte. „Ja. Ich schätze, das bin ich allen schuldig.“
Kapitel 15
J
ulian stand auf d er Terrasse. Er hörte den leichten Wind in den Bau m wipfeln, roch das gefallene Laub und nasse Erde. Hinter dem Garten mit den abgedeckten Beeten verband sich das neblige Grau des herbs t lichen Wannsees mit der Dunkelheit des Himmels. Ein Anblick, der ihn eigen t lich immer beruhigte. Nur heute nicht.
Außer der Teilnahme an der Patrouille bei Neumond , die er seit Sebastians Tod nie wieder versäumt hatte , hatte er in dieser Nacht alle Verantwortung abgegeben, sich von allen Pflichten entbunden. Er schüttelte ungläubig den Kopf und bere u te diesen Schritt, zumal er nach dem Blutaustausch mit Pierre so viel ruhiger und kräftiger war . Auf einmal fühlte er sich überflüssig und allein. Diese s neue Gefühl beunruhig te ihn . Doch es gelang ihm nicht, seinen größten Schmerz zu überl a gern. Er durfte Ellen nicht wiedersehen. Vo r erst, beruhigte er sich und versuchte vergeblich, die brennende En t täuschung abzu schütteln, die seine Brust beengte. In seinem erbärmliche n Zustand bedeut e te er für Ellen und alle anderen eine Gefahr , und er hatte schon zu viel Schuld auf sich geladen.
Die Anfrage kam vorsichtig, tastend, fast behutsam.
Andrej?
Julian gelang es, seine widerstreitenden Gefühle zurückzudrängen.
Ruf mich an. Ich habe mein Handy dabei.
„Ich wollte fragen … ich habe noch diese Flasche Burgunder, zu der ich gern dein Urteil wüsste. Ich würde sie für morgen bereitstellen. Wenn du möchtest?“
Als Julian nach einer kurzen Pause antwortete, war er so weit, das Angebot so zu sehen, wie Andrej es meint e . Keine Kontrolle. Kein Zweifel an seinen Fähi g kei ten. Nur das Angebot eines Freundes, Zeit mit ihm zu verbringen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
„Ja. Es ist lange her, dass wir zusammen … eine Flasche Wein getrunken h a ben. Ich freue mich.“
Er hatte jetzt unendlich viel Zeit, die er … müßig verbringen konnte . Mit einem Freund und einer Flasche Wein. Er könnte sich sogar auf die Jagd nach Gregor machen , doch er ver war f den Gedanken sofort. Er hatte sein W ort gegeben und die Auf passer gut gewählt. Soviel Unvernunft würde der Innere Kreis nicht zula s sen. Bis zu seinem Arkanum durfte er sich nur noch auf eine einzige Au f gabe beschränken : der Polizei seine Unschuld zu b eweisen. Was
Weitere Kostenlose Bücher