Novembermond
allerdings, wie er z u geben musste, nicht gerade wenig war .
Der Beistand aus dem Kreis hatte ihn überrascht. Obwohl er sich mit allen freundschaftlich verbunden fühlte, führte er mit niemandem wirklich offene G e spräche, auch nicht mit Andrej. Er hatte ihn ge wandelt , und da durch eine natürl i che Hierarchie geschaffen , die nie ihren Einfluss verlor. Ein gewandelter Schüt z ling würde seinem Meister immer Respekt und eine b esondere Zuneigung entg e genbringen, das war bei ihm und Bernhard auch nicht anders gewesen.
Der Einzige, der sich ihm heute entgegenstellt e , war Pierre . Das hatte lange niemand mehr gewagt, jedenfalls nicht mehr seit Sebastian s Tod . Er musste z u geben, dass er Pierre mochte und respektierte. Seine Argumen te waren vernünftig und nicht von der Hand zu weisen mit dem Erge b nis, dass seine Blutversorgung ab morgen einer pedantisch en Regelung unte r stand .
E r könnte die Zeit auch nutzen, um über einen Stellvertreter nachzudenken. Das tat er ohnehin, aber er sollte endlich einen Entschluss fassen. Bei diesen Überlegungen war Pierre ein neuer Kandidat. Von den en , die in f rage k a men, fühlten sich Jack und Andrej nicht mächtig genug. Sam und Armando waren es nicht. War dies der Grund , war um er sein Arkanum so lange, viel zu lange, au f schob ? Wegen des Gefühls, unen t behrlich zu sein?
Die Zeit war reif, neue Strukturen zu bilden.
Andrej war ihm ein guter Freund und eine loyale Stütze, seine Akzeptanz i n nerhalb der Gemeinschaft hoch. Allerdings war er in seinen Möglichkeiten, sich ihm bei wichtigen En t scheidungen entgegenstellen zu können, begrenzt.
Pierre allerdings hatte große Fähigkeiten und sich freiwillig für das Leben i n nerhalb der Gemeinschaft entschieden. Und er war loyal, darin hatte ihn der Ei n blick in seinen Geist bestärkt. Pierre wäre eine wirkliche Alternative. A llerdings war er ein ziemlicher Einzelgänger, was Vor- und Nachteile mit sich brachte. Julian durchdachte Möglichkeiten, ver war f sie wieder und nahm sich vor, andere weiterzuverfolgen. Für eine solche Entscheidung würde er sich viel Zeit ne h men müssen. Vielleicht wusste er nach dem Arkanum mehr. Julian verließ die Terra s se, ging vier Stockwerke tiefer und öffnete eine schmale Tür, die aus seinem Schlafzimmer führte.
Sebastian war der einzige, den er diesen Raum je hatte betreten lassen , un d nun war er selbst ein Teil davon, Teil seiner Erinnerungen.
Er entzündete die hohen Kerzen und blickte sich um. Da war das Porträt seiner Eltern und seiner Familie. Das Bildnis seiner Frau. Einmal hatte er es herunterg e rissen und mit dem Absatz in den Boden gerammt. Nachdem es einige Wochen dort gelegen hatte , hob er es auf und ließ es restaurieren. Er betrachtete das stille und ausdruckslose G e sicht unter der hellen Haube im Stil der damaligen Zeit. Er spürte nicht mehr den Zorn früherer Tage , aber er konnte sich auch an die Liebe nicht mehr e r innern. War sie je da gewesen?
Er griff nach einem Medaillon, das eine dunkle Locke seiner Tochter enthielt, ließ ihr Bild in seiner Erinnerung entstehen und d ie Trauer zu.
Gedankenverloren nahm er einige Schmuckstücke in die Hand, die ihn auf se i nem langen Weg begleitet hatt en . Der Ring seines Vaters, eine Halsk e t te seiner Mut ter. Da war das Bild von Bernhard, sein freundliches Gesicht, das nichts von seiner immensen Macht ve r riet.
Ein Portrait von Sebastian. Ein Foto, das Sebastian, Damian, Armando und ihn zeigte. Das ve r größerte Foto, auf dem Sebastian überrascht in die Kamera blickte, mochte er am liebsten. Es w urde etwa ein Jahr vor seinem Tod aufgenomme n .
Julian zog die Tür hinter sich zu. Er hatte die Zeit, ab er nicht die Ruhe, sich länger hier aufzuhalten. Er ging nach oben, hinüber in d ie Bibliothek. Mit einem Glas Wein in der Hand suchte er ziellos die Reihen der Bücher ab und schaffte es nicht, Interesse für einen diese r Schätze zu entwickeln, die ihm eigentlich viel b e deuteten.
Morgen könnte er auf dem Weg zur Zentrale in Friedenau an halten. Ellens Herzschlag lauschen, u n bemerkt an ihrem Bett stehen, um sie zu betrachten. Seine Hand ausstrecken, um …
Sein Glas zersplitterte mit einem lauten Krachen an der Wand. Der rote Stre i fen, der an der Wand hinunterlief, verschaffte ihm zornige, wenn auch sin n lose Befriedigung. Dann schüttelte er den Kopf und verzog den Mund. Er war ein verdammter Idiot.
Julian ging zurück auf die Terrasse und starrte hinauf in den
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