Novembermond
meinen Einwand großzügig beiseite. „Notfalls geben Sie einen Ihrer Patienten an einen Kollegen ab.“
Ich knirschte innerlich mit den Zähnen. Sollte ich die therapeutischen Prozesse meiner Kasse n patienten unterbrechen, nur um Christian Hartmann unentgeltlich zur Verfügung zu stehen? Das würde ich natürlich nicht tun. Aber leider konnte ich die Anordnung des Che f arztes nicht einfach ignorieren, also bedeutete jeder zusätzliche Patient neue Überstunden.
„Ich denke, das Anliegen von Herrn Hartmann hat im Moment höchste Prior i tät. Wenn er Ihre Unterstützung möchte, wird er Sie selbstverständlich beko m men.“
Ich suchte vergeblich nach weiteren Argumenten. Von der Terminsituation a b gesehen gab es natürlich einen weiteren wichtigen Grund, war um ich den Ko n takt mit Christian u n bedingt vermeiden wollte. Ich hatte mich in seinen Chef verliebt und mit ihm geschlafen. Aber d iese Begründung konnte ich unmöglich anfüh ren , also sagte ich nichts.
„Frau Langner wird einen Termin mit Ihnen vereinbaren“, entschied der Che f arzt und lächelte mein Problem einfach weg . „Sollte es Schwierigkeiten geben, können Sie sich gern wieder an mich wenden, Herr Hartmann . Jederzeit.“ Der Blick, den er mir z u war f, war nicht mehr ganz so liebenswürdig.
Christian lächelte den Chefarzt an, dankbare Verehrung in seinem Blick. „Ihr Angebot ist sehr gro ß zügig.“
„Ich bin Ihnen sehr gern behilflich, Herrn Hartmann “, sagte der Chefarzt großzügig. „Jederzeit.“ Dann drehte er sich um und schwebte davon.
Ganz Gott in Weiß.
„ War um möchten Sie therapeutische Gespräche, Herr Hartmann ?“, fragte ich streng.
Er blickte mich mit seinen himmelblauen Augen an, und sein Mund verzog sich zu einem dekorativen und einnehmenden Lächeln.
Ich hatte meinen abstinenten Therapeutenblick aufgesetzt und ließ es an mir abprallen.
Sein Lächeln gefror, und auf einmal sah er sehr jung und beleidigt aus. Christian Hartmann fühlte sich zurückgewiesen, das war er offensichtlich nicht gewohnt. Und nichts, was er gleichmütig hinnehmen konnte .
„Ich brauche professionelle Hilfe. Ich habe Beziehungsprobleme, die mich sehr belasten.“
„Heute habe ich leider keine Zeit“, bedauerte ich halbherzig. Die Visite daue r te sowieso immer länger als geplant , u nd vor meiner Tür war tete seit zehn Minuten ein Patient auf sein Einzelgespräch. Ich hatte jeden Tag viele Termine hintere i nander, therapeutische Einzelgespräche, Gruppente r mine und Teamsi tzungen, deshalb war Pünktlichkeit eine meiner wichtigsten Verbündeten, um das Arbeit s pensum halbwegs schaffen zu können. Vermutlich würde auch meine Mittag s pause wieder kürzer ausfallen, damit wenigsten s die Nachmit tags termine pünk t lich beginnen konnte n.
„Können Sie morgen um zwölf Uhr?“
„Ich muss heute Nacht arbeiten. Ginge es auch später?“
„Dann abends, um sechs Uhr?“
„Dann ist es schon dunkel“, meinte Christian nicht sehr glücklich. „Früher gi n ge es nicht? Vielleicht so gegen drei?“
„Nein“, sagte ich kurz angebunden. „Dann habe ich einen anderen Termin.“ Das Leben war wirklich kein Ponyhof. Und auch kein Wunschkonzert.
„Gut, dann also morgen um sechs“, gab er nach.
Am Abend kam ich erst spät nach Hause. Zu allem Überfluss musste ich wieder ewig nach einem Par k platz suchen.
Eigentlich hätte ich heute unbedingt noch einkaufen müssen, denn ich hatte wieder einmal nichts mehr im Haus. Aber während ich langsam die Straße abfuhr, wurde n vor dem kleinen Supermarkt bereits die letzten Auslagen und Obstkisten eingeräumt. Fast eine halbe Stunde später stieg ich die Treppen zu meiner Wo h nung hinauf. Ich ging sofort in mein Schlafzimmer und zog mich aus, dann duschte ich und schlüpfte in einen Schlafanzug. Das war mein Zeichen an die Welt, dass sie mich in Ruhe lassen sollte.
Nicht, dass sie überhaupt Interesse an mir zeigte.
Ich hatte nicht mehr an Julian denken wollen. Und nun behandelte ich e i nen seiner Angestellten .
In der Küche machte ich mir Schinkenbrote, angelte Gewürzgurken aus dem Glas und legte sie dazu. Ich goss mir ein Glas Riesling ein, trug Brote und Wein ins Wohnzimmer, ließ mich auf dem Sofa nieder und legte die Füße hoch. Das Telefon lag bereit, ich war tete auf Franziskas Anruf. Dann griff ich nach der a k tuellen Ausgabe des Stadtmagazins, die ich mir immer noch aus alter Gewoh n heit kaufte, obwohl ich nur das Fernsehprogramm regelmäßig
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