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Novemberschnee

Novemberschnee

Titel: Novemberschnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Banscherus
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Laune jetzt verflogen. Nichts würde gut werden, heute nicht und morgen nicht und niemals.
    »Und wenn wir ihn hier lassen?«, fragte mich Tom. Er ließ nicht locker, wollte Jurij offenbar unbedingt loswerden.
    »Hier lassen?«, rief ich. »Soll Jurij verhungern oder was?«
    Tom griff in seine Anoraktasche, holte ein Bündel Geldscheine heraus und zählte die Scheine vor Jurij auf den Boden. »Da hast du deinen Anteil«, sagte er. »Sechzehntausend Mark. Bis zur Straße schaffst du es schon. Irgendeiner nimmt dich bestimmt mit. Lina und ich müssen weiter.«
    Jurij fuhr mit dem Daumen über die Geldscheine. Immer wieder. In seinen Augen standen Tränen, keine Ahnung, ob aus Trauer oder vor Wut. »Du bist ein Schwein, Tom«, sagte er leise. »Willst mich verrecken lassen. Und ich dachte, du bist mein Freund.«
    Er schob die Scheine zurück. »Steck dir das Geld in den Arsch.«
    Ich kniete mich neben Jurij auf den Boden und nahm ihn fest in die Arme. Sollte Tom doch denken, was er wollte. Mit dem war sowieso Schluss. Schlimm genug, dass er uns in den Schlamassel gebracht hatte. Jetzt stellte sich auch noch heraus, was für ein mieser Typ er in Wirklichkeit war. Und in so einen war ich mal verknallt gewesen!
    »Hier verreckt keiner!«, sagte ich. »Wir bleiben, bis Jurij wieder laufen kann.«
    Tom lehnte sich uns gegenüber an die Wand. Ob es ihm was ausmachte, dass ich Jurij in meinen Armen hielt? Er ließ sich jedenfalls nichts anmerken.
    »Ich hab Hunger«, sagte er.
    Jurij spuckte aus. »Friss Schnee!«
    »Ich brauch was zu essen«, sagte Tom.
    »Dann besorg uns was«, fauchte ich ihn an.
    Tom schüttelte den Kopf. »Ich bin doch nicht verrückt. Ihr holt die Polizei, sobald ich weg bin. Und dann schiebt ihr alles auf mich. Sogar den Autodiebstahl. Aber damit kommt ihr nicht durch, verlasst euch drauf!«
    »Also gut. Dann hole ich uns was zu essen«, sagte ich zu Tom. »Dein Gesicht haben sie in der Sparkasse gesehen. Von dir gibt es bestimmt schon ein Fahndungsfoto. Mich kennt keiner.«
    »Fahndungsfoto?« Tom wurde blass. Es sah aus, als habe er sich über diese Möglichkeit noch keine Gedanken gemacht.
    »Und wenn du nicht zurückkommst?«, fragte er.
    Ich versuchte zu lachen. »Glaubst du im Ernst, ich laufe zur Polizei? Ich will nicht in den Knast, genauso wenig wie ihr.«
    Tom drückte mir zwei Hundertmarkscheine in die Hand. »Bring Zeitungen mit«, sagte er.
    Ich war fast aus der Tür, da rief Jurij mich zurück. »Pass auf dich auf, Lina«, sagte er. Seine Stimme klang belegt, sein Lächeln wirkte irgendwie verrutscht.
    »Du auch, Jurij.«
    »Und bring Cola mit«, sagte er. »Mindestens fünf Flaschen.«
    »In Ordnung.«
    »Und Wodka.«
    »Wodka?«, fragte ich erstaunt.
    Jurij nickte. »Damit reib ich mein Knie ein. Vielleicht hilft das. In Kasachstan ist Wodka Medizin gegen alles.« Er zögerte einen Moment und zog die Nase hoch. »Sogar gegen Schneestürme und Wölfe«, fügte er dann hinzu.
    »Und was übrig bleibt, trinken wir«, sagte Tom. Jurij und ich beachteten ihn nicht.

7.
    Rund um das Ausflugslokal hatte der Schnee sich zu Hügeln aufgetürmt. Er reflektierte die Sonne so stark, dass ich die Augen zukneifen musste. Aber hier draußen war es viel wärmer als im Haus. Je länger ich lief, desto mehr verschwand die Kälte aus meinen Gliedern.
    Es dauerte eine Weile, bis ich die Straße erreichte. Das Gehen im lockeren Schnee war mühsam, immer wieder sank ich bis zu den Knöcheln ein. Auf der Bundesstraße ging es besser. Die Räumfahrzeuge hatten nicht nur die Fahrbahn, sondern auch die Randstreifen freigeräumt, ich kam gut voran.
    Ich weiß nicht, wie lange ich schon unterwegs war, als ein BMW neben mir hielt. Der Fahrer – er hatte offenbar gefärbte schwarze Haare und trug eine verspiegelte Sonnenbrille – ließ die Scheibe herunter und rief: »Wo willst du hin?«
    Ich antwortete nicht, zog nur hastig die Kapuze über den Kopf und ging schneller.
    Doch der Typ ließ sich nicht abschütteln. Mit aufheulendem Motor fuhr er dicht an mich heran. »Du brauchst keine Angst zu haben!«, rief er. »Ich tu dir nichts!«
    »Verschwinden Sie!«, schnauzte ich ihn an und hätte ihm am liebsten eine Beule ins teure Blech getreten. »Hauen Sie ab!«
    Er lachte bloß. »Bis zum nächsten Ort sind es noch fünf Kilometer«, sagte er. »Willst du die etwa laufen? Steig ein, ich bring dich hin!«
    »Verschwinden Sie!«, wiederholte ich. »Oder …«
    »Oder was?«
    Recht hatte er, der Typ. Was hätte ich in

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