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Novemberschnee

Novemberschnee

Titel: Novemberschnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Banscherus
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Seife, Zahnpasta, drei Zahnbürsten, Kerzen und ein großes Paket Streichhölzer. Obenauf legte ich eine Flasche Wodka. Sie wundern sich sicher, dass ich keine Taschenlampe mitgenommen habe. Ich weiß auch nicht – ich hab nicht einmal danach gesucht.
    Vielleicht hab ich wegen dem Schnee ja an Advent und an einen Kranz mit dicken roten Kerzen gedacht. Oder an Weihnachten. Oder an gar nichts. Ich hab es vergessen.
    »Für wen ist der Wodka?«, fragte mich der Mann an der Kasse.
    Bin ich in diesem Augenblick rot geworden? Hab ich gestottert? Auch das weiß ich nicht mehr. Jedenfalls erklärte ich dem Menschen, dass der Schnaps für meinen Vater sei. Dass der dort hinten im Auto sitze und auf mich warte. Ja, in dem roten Golf. Mein Vater wäre normalerweise selber gekommen, aber er habe sich beim Schneeräumen vor unserem Haus den Fuß verstaucht.
    Der Mann verzog das Gesicht zu einem schiefen Lächeln. Wahrscheinlich war meine Erklärung nicht besonders originell gewesen. Trotzdem sagte er: »In Ordnung.«
    Ich bezahlte mit den beiden Hundertmarkscheinen, steckte das Wechselgeld in die Tasche meines Anoraks und trug die schweren Einkaufstüten zum Zeitungsstand.
    Hätte ich es nicht getan, wäre mir einiges erspart geblieben. Denn dort sah ich mein Bild, es lächelte mir ungefähr zwanzigmal entgegen. Ich kannte das Foto, mein Vater hatte es bei meiner Konfirmation aufgenommen. Ich trage noch meine Zahnspange und sehe einfach scheußlich aus.
    Haben Sie sich schon mal auf der ersten Zeitungsseite gesehen? Nein? Seien Sie froh. Mit einem Bild von Tom hatte ich ja gerechnet. Immerhin war er in der Bank gewesen und bestimmt von der Überwachungskamera gefilmt worden. Aber Jurij und ich? Wie konnte die Presse schon ein paar Stunden nach der Geschichte in der Bank unsere Bilder haben? Die Bankräuberin mit der Zahnspange war jetzt auf ein paar Millionen Zeitungen gedruckt. Wir waren berühmt, irgendwie. Manchmal hatte ich davon geträumt. Aber so hatte ich mir das nicht vorgestellt.
    Es war das Blatt mit den fetten roten Balken und den dicken Überschriften. Toms Foto hatten sie links, Jurijs rechts, meins in die Mitte gesetzt. FAHRRADBANDE SCHLUG ZU stand in riesigen Buchstaben darunter. Dann etwas kleiner: Frau (78) starb bei brutalem Bankraub. Und weiter: Bei einem dreisten Banküberfall erbeuteten drei Jugendliche (15, 16 und 17 Jahre alt) 50000 Mark. Der maskierte Anführer der Bande, Thomas G. (17), bedrohte die Bankangestellten mit einer Pistole und zwang den Kassierer zur Herausgabe des Geldes. Bei dem Überfall erlitt eine zufällig anwesende Kundin, Elisabeth A. (78), einen tödlichen Herzinfarkt. Die Räuber entkamen auf ihren Fahrrädern. Trotz einer sofort eingeleiteten Großfahndung fehlt von ihnen jede Spur.
    Die Sparkasse scheint Kriminelle anzuziehen. Sie wurde bereits zum dritten Mal in den letzten beiden Jahre überfallen.
    »Wenn du die Zeitung lesen willst, musst du sie schon kaufen!«, hörte ich den Mann an der Kasse rufen. Wie ferngesteuert, ohne auch nur einen Moment nachzudenken, zog ich mir die Kapuze tiefer ins Gesicht. Ich trug zwar keine Zahnspange mehr. Aber sonst sah ich immer noch wie auf dem Foto aus.
    Hastig nahm ich ein Exemplar vom Ständer und faltete es so, dass unsere Fotos nicht zu sehen waren. Dann zahlte ich und ging hinaus. Auf einmal hatte ich das Gefühl, dass mir die Leute nachschauten. Etwas stieg in mir hoch, ein Gefühl, als ob man mir die Luft abschnürte. Am liebsten wäre ich sofort weggerannt. Hätte die Einkaufstüten in den nächsten Müllcontainer geworfen und wäre zurück in den Wald gelaufen. Wo ich ganz allein gewesen wäre. Wo ich wieder Luft gekriegt hätte. Aber ich zwang mich zur Ruhe. Es gab noch was zu tun.
    Im Telefonhäuschen vor dem Eingang zum Restaurant stand eine Frau. Ich musste mindestens zehn Minuten warten, bis ich an die Reihe kam.
    Meine Mutter war sofort am Apparat. »Lina, mein Kind! Gott sei Dank, dass du anrufst!«, rief sie. »Warum habt ihr das bloß gemacht? Wo steckst du? Geht es dir gut? Bitte, komm sofort nach Hause. Es wird alles halb so schlimm, sollst mal sehen. Papa sagt das auch. Möchtest du ihn sprechen?«
    »Du, Mama«, begann ich.
    Doch sie ließ mich nicht zu Wort kommen. »Das hat doch alles keinen Zweck«, redete sie weiter auf mich ein. »Die Polizei kriegt euch doch sowieso. Am besten, ihr stellt euch. Ja? Bitte, Lina!«
    »Du, Mama«, versuchte ich es ein zweites Mal.
    Aber meine Mutter hatte den Hörer schon an meinen

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