Novizin der Liebe
der vergangenen vier Jahre kaum Umgang mit Männern gehabt hatte, außer mit ihr vertrauten Dörflern wie Ulf, empfand seine körperliche Gegenwart als überwältigend. Seine Augen waren grün, und als ihre Blicke sich trafen, konnte sie den ihren kaum wieder von ihm abwenden. Sein Gesicht mit den markanten, dunklen Zügen war ansprechend, doch irgendwie beunruhigend. Er trug sein Haar kurz geschnitten und war dem normannischen Brauch entsprechend glatt rasiert. Die meisten ihrer Landsmänner trugen wallende Bärte und langes Haar. Cecily blinzelte. Sie hatte stets geglaubt, ein Mann ohne Bart müsse wie ein unreifer Jüngling aussehen, dieser Mann jedoch hatte nichts Kindliches an sich. Unter seinem Mantel verbargen sich breite Schultern. Und sein Mund … Was tat sie da nur? Was brachte sie dazu, seinen Mund zu betrachten?
Cecily errötete, als ihr bewusst wurde, dass sie einander anstarrten und der Fremde sie mit derselben Eindringlichkeit gemustert hatte wie sie ihn. Es ist, als sei ich ein offenes Buch für ihn, dachte sie. Er war nicht höflich, dieser Knappe. Er war zu kühn.
„Emma Fulford?“, wiederholte Cecily bedächtig. „Ich fürchte, Ihr kommt zu spät.“
„Verflucht!“
Mutter Aethelflaeda schnaubte empört. Cecily biss sich auf die Lippe. Gewiss würde Mutter Aethelflaeda den Knappen streng zurechtweisen, doch die Priorin beherrschte sich mit Mühe, um den Anschein zu wahren, des Französischen nicht mächtig zu sein.
Die scharfen Augen des Knappen waren auf die Klostervorsteherin gerichtet, und Cecily erkannte, dass er ebenso gut wusste wie sie, dass diese sehr wohl Französisch sprach und ihr Unvermögen nur vortäuschte, um sie zu behindern. Der gepanzerte Ritter hielt sich im Hintergrund und war offenbar zufrieden damit, dass sein Knappe an seiner statt handelte.
„Hat Lady Emma gesagt, wohin sie unterwegs war?“, wollte der Knappe wissen.
„Nein.“ Die Lüge kam Cecily leicht über die Lippen. Später würde sie dafür Buße tun. Sie würde jede Art von Buße auf sich nehmen, um zu verhindern, dass dieser gepanzerte Ritter ihre Schwester aufspürte. Wenn sie nur auch etwas für die Sicherheit ihres kleinen Bruders tun könnte …
Der Knappe runzelte die Stirn. „Ihr habt keine Ahnung? Lady Emma muss es irgendjemandem gesagt haben. Ich dachte, sie hätte vielleicht Verwandte hier im Kloster. Wen hat sie besucht? Ich würde gern mit ihnen sprechen.“
Cecily blickte geradewegs in jene beunruhigenden Augen. „Sie hat mich besucht.“
Sein Gesichtsausdruck spiegelte Unverständnis wider. „Weshalb?“
„Weil Lady Emma of Fulford meine Schwester ist und …“
Er streckte unvermittelt die Hand aus und schloss die schlanken Finger um ihr Handgelenk. „Eure Schwester? Aber … ich …“ Er wirkte beunruhigt. „Wir waren nicht sicher, dass sie eine Schwester hat.“
Cecily versuchte vergeblich, sich aus seinem Griff zu befreien und warf dem Ritter, der noch immer so tat, als habe er mit all dem hier nicht das Geringste zu tun, einen erbosten Blick zu. „Ist es so verwunderlich, dass Euer Herzog nur unvollständige Kenntnisse über das von ihm überfallene Land und dessen Bewohner besitzt?“, fragte sie in scharfem Ton. Gleich darauf biss sie sich auf die Lippe, denn ihr war nur allzu bewusst, dass sie diese Männer nicht verärgern durfte, wenn sie ihrem neugeborenen Bruder helfen wollte. Sie mäßigte ihren Ton. „Emma hatte auch einen Bruder. Bis zur Schlacht von Hastings. Wir beide hatten einen Bruder.“ Sie richtete den Blick gezielt auf die Finger, die ihr Handgelenk umschlossen hielten. „Ihr tut mir weh.“
Der Knappe ließ sie los und trat einen Schritt zurück. „Verzeiht.“ Ohne sie aus den Augen zu lassen, fügte er hinzu: „Und ich bedaure den Tod Eures Bruders.“
Ein Gefühl bitterer Trauer überkam Cecily und schnürte ihr beinahe die Kehle zu. „Und den Tod meines Vaters … bedauert Ihr den auch?“, stieß sie mühsam hervor.
„Ja. Der Tod eines jeden guten Mannes ist ein unnötiger Verlust. Wie ich gehört habe, waren Euer Vater und Euer Bruder aufrechte, loyale Männer. Es heißt, sie fanden den Tod bei Caldbec Hill, als sie ihren Oberherrn verteidigten, nachdem der sächsische Schilderwall auseinandergebrochen war.“
„O ja, sie waren loyal“, sagte Cecily und bemühte sich vergeblich, die Bitterkeit aus ihrem Ton zu verbannen. „Doch was nützt Gefolgschaftstreue, wenn sie tot sind?“ Tränen brannten in ihren Augen. Um Fassung
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