Novizin der Liebe
ziehen.
Judhaels Stimme wurde sanfter. „Vielleicht traust du mir nicht.“
„Ich möchte dir trauen“, murmelte Emma. „Doch hier geht es um mehr als um Vertrauen. Es hätte seinen Tod bedeuten können, und welchen Vorteil hätte irgendjemand davon? Er ist unschuldig.“
Wovon sprachen sie? Cecily erhob sich schwerfällig aus ihrer knienden Haltung. Sie legte eine Hand – sie zitterte – an eines der geschnitzten Blätter und lugte durch das Flechtwerk.
Ja! Dem Himmel sei Dank, es war Judhael, den sie sah – ein hochgewachsener Mann, der sein langes, blondes Haar nach angelsächsischem Brauch im Nacken zusammengebunden trug. Die Hände in die Seiten gestemmt, blickte er ihre Schwester finster an. Cecily konnte nur Emmas Rücken sehen, doch es bestand kein Zweifel, dass sie es war. Dieser weinrote Mantel war der Beweis, falls es eines Beweises bedurfte. Ihre Schwester hatte diesen Mantel getragen, als sie sie im Kloster besucht hatte.
Emma war nicht nach Norden geritten! Sie hatte sie angelogen. Warum? Und was machte sie hier in Winchester? Weshalb traf sie sich heimlich mit Judhael?
„Du hättest ihn herbringen sollen“, sagte Judhael.
Cecily drehte sich beinahe der Magen um. Gütiger Himmel, der Mann trug seinen Sax – sein Hiebschwert – in der Kathedrale!
„Du hast deinen Schwur mir gegenüber gebrochen“, fuhr er fort, blass vor Zorn. Als Kind hatte Cecily Judhael nie so gesehen, so aufgebracht, so kompromisslos wütend. Doch sie kannte diesen Gesichtsausdruck. Ihr Vater hatte ihn oft genug gezeigt.
„Ich war hin- und hergerissen in meiner Loyalität …“ Emma schluchzte leise und ließ den Kopf hängen. „Judhael, du bist zu hart.“
Etwas im Tonfall ihrer Schwester, demütig, doch unverhohlen gefühlvoll, weckte Cecilys Aufmerksamkeit. Bei ihrer Begegnung im Kloster hatte sie Emma gefragt, ob sie verliebt sei, nun wurde ihr schlagartig bewusst, dass die Dinge viel weiter gediehen waren. Judhael war der Liebhaber ihrer Schwester. Emmas folgende Worte bestätigten dies.
„Judhael, mein Liebster …“
Just in diesem Augenblick sah Judhael an Emma vorbei, geradewegs zur Chorschranke. Cecily sank auf die Knie, die Hand um eines der geschnitzten Blätter geklammert. Wenn sie sich zu erkennen gab, riskierte sie, Richard of Asculfs Aufmerksamkeit auf sie zu lenken. Sie warf einen verstohlenen Blick über die Schulter. Der Normanne war nicht zu sehen in der Masse der Pilger, die sich schlurfend um das Grab des heiligen Swithun drängten, doch sie konnte sich nicht darauf verlassen, dass er so lange auf dem Kirchhof auf sie wartete, wie es ihr beliebte. Er konnte jeden Augenblick auftauchen.
Was würde geschehen, wenn man Judhael und Emma hier entdeckte? Cecily wusste nicht, was die beiden hier taten, doch ihre Entdeckung durch Sir Adam oder einen seiner Männer konnte nur mit ihrer Gefangennahme enden. Und in Anbetracht seiner Gemütsverfassung und der Tatsache, dass Judhael bewaffnet war, würde das gewiss nicht ohne Blutvergießen vonstattengehen …
„Ich sehe nur eine Frau, der ich nicht vertrauen kann.“ Judhaels Ton war eisig.
Emma entfuhr abermals ein leises Schluchzen. „Und ich sehe einen Mann, der …“
Der Rest ihrer Worte wurde vom Geräusch forscher Schritte hinter Cecilys Rücken übertönt. Als sie sich umdrehte, gefror ihr das Blut in den Adern.
Sir Adam Wymark war aus der Menge hervorgetreten und marschierte geradewegs auf sie zu.
7. Kapitel
„S… Sir Adam!“
Die Kapuze ihres Mantels warf einen Schatten auf ihre Gesichtszüge, doch das Entsetzen der kleinen Novizin war so offenkundig, dass Adam in einigen Schritt Entfernung stehen blieb. Er runzelte die Stirn. Den Kettenpanzer, von dem er wusste, dass sie ihn verabscheute, hatte er vor der Kathedrale abgelegt und zusammen mit seinem Schwert Richards Obhut überlassen. Woher rührte also dieser Ausdruck blanken Entsetzens in ihren Augen, kaum dass sie ihn erblickt hatte? Er hatte gehofft, sie fasse allmählich Vertrauen zu ihm. Angesichts seiner jüngst getroffenen Entscheidung und der Nachricht, die er Herzog Wilhelm geschickt hatte, war es lebenswichtig , dass sie ihm traute.
Sie erhob sich, kreidebleich im Gesicht, und wäre vor lauter Hast, an ihm vorbei zum Ausgang zu eilen, beinahe über ihre verschlissene Ordenstracht gestolpert.
Entmutigt packte Adam sie am Handgelenk, woraufhin sie stehen blieb und sich zu ihm umwandte. Nein, sie schaute ihm noch nicht einmal in die Augen. Sie sah an ihm vorbei
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