Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nr. 799 (German Edition)

Nr. 799 (German Edition)

Titel: Nr. 799 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuna Stern
Vom Netzwerk:
anschließend legte sie ihre Hände ineinander, verschmierte die Erde weiter, bis ihre Finger, ihre Handrücken, ihre ganzen Hände pechschwarz waren. Mit ihrem Zeigefinger fuhr sie ihre Lippen entlang, die nun noch schwärzer wurden, und bemalte ihre Wangen mit Erde.
    »Das kann doch nur ein Scherz sein«, murmelte David neben mir und unterdrückte mit Mühe ein Grinsen.
    »Ich weiß, oder? Ich glaube, sie will eher eine Schlammschlacht mit uns«, entgegnete ich leise, damit niemand sonst mich hörte.
    Er nickte und lachte leise. »Ich hoffe, du bietest dich an?«, flüsterte er mir ins Ohr.
    »Nein. Ich glaube, ich bin nicht ihr Typ.«
    Ich sah zu Mia, die sich beruhigt hatte und die merkwürdige Frau mit offenem Mund anstarrte, als wäre sie eine Attraktion bei Disneyland.
    »Aber sein Typ scheinst du zu sein«, murmelte David und wies auf Nummer Fünf. »Was, meinst du, will er mit deinen Haaren machen?«
    »Keine Ahnung. Vielleicht einen DNA-Test, um sicher zu gehen, dass wir nicht verwandt sind? Also ... bevor er mich entführt und killt.«
    Vor uns baute sich die mit Erde besudelte Überführerin auf, zog ihre Kapuze übers Gesicht, legte die Hände ineinander und begann ein Gedicht aufzusagen. Oder so etwas Ähnliches:
    »Wenn niemand kommt, verraucht.
    Ich eile, um tragen zu können.
    Seele um Seele,
    Hauch um Hauch,
    Erde für Erde.
    Ein Beginn, der das Ende trägt.
    Und ein Ende, das im Beginn endet.
    Ins Licht geh ich nicht.
    Ich schick.«
    Ich chic?
    »Müssen wir jetzt französisch verstehen?«, murmelte ich David zu, der leise losprustete.
    Auch ich konnte mein Lachen nicht mehr zurückhalten, bis Nummer Fünf sich zu uns umdrehte und wütend anfunkelte.
    Schweigt , befahl er, sein Mund bewegte sich lautlos. Ich schauderte wieder beim Anblick seiner Zähne, zuckte mit den Schultern und hauchte zurück: Tut mir echt leid.
    Er nickte und wandte seinen Blick wieder ab, während David mich weiterhin angrinste.
    Die Überführerin Nummer Ichwussteesnichtmehr streckte ihre Arme aus und tat so, als würde sie durch die Luft schwimmen.
    Ehe David und ich wieder loslachen mussten, änderte sich plötzlich das Wetter im Wald. Der Himmel verdunkelte sich, die Wolken versammelten sich zu einem schwarzen Gebilde, und ein eisiger Wind streifte uns. Meine Haare wehten im Wind und Mia griff wieder nach meiner Hand, weil der Sturm so stark war, dass sie schwankte.
    Alle zogen scharf den Atem ein, murmelten ein »Wow!« oder wisperten ein »Nein!«. Die Überführerin hatte sie schwer beeindruckt.
    Während die Finsternis ihre Arme nach uns ausstreckte und ein zarter Nebel sich wie eine Decke über den Wald legte, fing die rothaarige Frau an zu schreien, so laut, als würde sie gegen eine unsichtbare Gewalt ankämpfen, sie vollführte schlangenartige Bewegungen mit ihren Armen, bis ein einziger, winziger Lichtball über den Bäumen auftauchte und zu uns schwebte.
    »Da, schau mal«, rief Mia und zog an meinem Ärmel. »Ist das die Seele?«
    Der Lichtball hüpfte über die Äste und klimperte dabei wie auf einer Klaviatur, während ihn die Überführerin mit beiden Armen herzog, als würde sie einen unsichtbaren Faden bearbeiten.
    Irgendwann landete der Lichtball auf der Erde und verwandelte sich – in eine sterbende Frau. Sie lag auf dem Waldboden und hielt ihre Brust fest. Sie trug einen Jogginganzug, die pinken Kopfhörer lagen neben ihrem Kopf, und ihr Pferdeschwanz war voller Erde. Sie krümmte sich vor Schmerz. Sie lebte noch, konnte uns aber nicht sehen.
    »Wir sind angekommen. Zur rechten Zeit«, flüsterte Nummer Fünf. »Gut gemacht.«
    Die Überführerin setzte sich neben sie, schweigend wartete sie darauf, dass es mit der Frau zu Ende ging.
    »Vielleicht, vielleicht wird sie gerettet«, wisperte ich, hoffte ich. »Vielleicht kommt jemand vorbei.«
    Aber nein, es stürmte, es regnete. Zu so einer Zeit war niemand unterwegs. Oder doch? Da war ein Schäferhund, der um die Joggerin herumsprang, sie anbellte. Gehörte er ihr? Oder jemand anderem?
    Ich hoffte, dass er jemand anderem gehörte. Jemandem, der sie retten konnte.
    »Lauf, hol jema–«, krächzte die Frau. »Hol.« Sie schloss die Augen, versuchte tief Luft zu holen, während der Hund weiter rannte, nicht wusste, was er tun sollte. Bellte. Immer wieder.
    Die Frau krümmte sich noch mehr, die Adern in ihrer Stirn traten hervor, sie drückte ihre Brust so fest, dass ihre Hände weiß anliefen. Ihre Lippen bebten. Aber sie kämpfte weiter.
    »Warum muss

Weitere Kostenlose Bücher