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Nr. 799 (German Edition)

Nr. 799 (German Edition)

Titel: Nr. 799 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuna Stern
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verärgert, dass sie es diesmal richtig hinbekommen hatte. Er tat so, als würde er klatschen, dann trat er näher auf die Frau zu. »Aber warum, Pudelfrauschatz, hast du dich nicht konzentriert?«
    »Das habe ich«, beteuerte sie. »Absolut. Eindeutig.« Sie sah ihren Sitznachbarn flehentlich an, damit er ihr zustimmte, doch er wandte unberührt sein Gesicht von ihr ab. »Ich habe die Worte konzentriert aufgesagt. Hundertprozentig. Das schwöre ich bei meinem Leben.«
    Mit ihren letzten Worten entlockte sie dem grausamen Mann ein fieses Lachen. »Hört ihr? Das schwört sie bei ihrem Leben. Das ist ja so süß.« Dann veränderte sich sein Gesicht und mit gelangweilter Miene wies er mit dem Zeigefinger auf die Tür. »Verschwinde.«
    »Was?«
    »Ich habe keine Lust auf deine Aufregung. Wenn du dabei bist, wirst du alles durcheinander bringen. Ich brauche hochkonzentrierte Schüler. Du kannst meinetwegen die Bibliothek putzen oder so, falls dir das Spaß bereitet. Aber ich möchte nicht, dass du mir noch einmal meine Stunde verdirbst.«
    »Ich gebe mir Mühe, das verspreche ich«, wisperte die Frau, weil sie offenbar ahnte, dass der Ausschluss aus dieser Klasse nichts Gutes für sie bedeuten konnte. Was würden sie mit ihr anstellen, wenn sie sie nicht mehr brauchten?
    Ganz ruhig wiederholte der Ausbilder: »Hinaus. Sofort. Sonst werde ich mich bei den Oberen melden.«
    Die Seniorin begann laut aufzuschluchzen, griff nach ihrer Tasche, die auf dem Boden lag, wobei ihre Kapuze von ihrem Kopf rutschte, dann lief sie an dem Ausbilder vorbei hinaus zur Tür.
    Ich sah ihr hinterher, als sie zitternd im Korridor verschwand. Was würde nun mit ihr passieren? Ich sorgte mich unheimlich um sie.
    »Endlich.« Charles Dumpfbacke lächelte erleichtert. »Jetzt fühlt sich der Raum schon viel besser und stimmiger an. Das alte Ding konnte noch nicht einmal die Formel fehlerlos aufsagen. So eine Inkompetenz ist mir noch nicht untergekommen.«
    Er spazierte durch unsere Reihen und rieb sich aufgeregt die Hände. »Nun beginnen wir noch einmal von vorne. Und ich hoffe, dass ihr diesmal alle «, sein Blick huschte zu mir, » richtig mitmacht.«
    Er blieb nur wenige Schritte von unserem Tisch entfernt stehen und begann mit uns gemeinsam das Gedicht aufzusagen.
    Unsere Stimmen hallten von den Wänden wider, wir sollten die Worte so oft wiederholen, bis wir jeweils bei unseren Schützlingen angekommen waren. Ich sah zu, wie einige meiner Mitschüler schnell die Augen schlossen und in eine Art Trance verfielen. Nur bei mir dauerte es länger.
    Die ganze Zeit über wusste ich, dass der Ausbilder mich voller Spannung beobachtete. Irgendwann waren nur noch wenige Stimmen übrig, vier oder so, und ich fühlte, wie mir langsam schwindelig wurde und ich spürte, wie sich meine Augenlider senkten und ich spürte, wie ...

KAPITEL 14

Als ich meine Augen wieder öffnete, stand ich in einem Supermarkt. Es war Abend, die letzten Kunden verließen gerade den Laden, während die Verkäuferin – eine etwa zwanzigjährige Studentin, deren Haare zu einem hübschen Zopf geflochten waren – die Kasse abschloss und ihre Tasche einpackte. Ich entdeckte ein Buch, auf dem Einführung in die Rechtswissenschaft stand. Es wirkte extrem schwer, und die junge Frau schaffte es erst nach mehreren Anläufen, das Buch in ihrem Rucksack zu verstauen.
    Irgendwann hörten wir beide ein Geräusch von draußen. Ich sah einen Schatten vorbeihuschen, doch die Studentin widmete sich wieder ihren Aufgaben. Sie zog ein Taschentuch hervor und wischte noch mal kurz ihre Brille damit ab, bevor sie sie aufsetzte. Anschließend zog sie ihre Regenjacke über.
    Draußen stürmte es. Ein starker Wind brachte die Fensterläden zum Klappern.
    Wieder zuckte die Studentin zusammen, sah hinaus in die Finsternis und seufzte leise. Anschließend zog sie ihr Smartphone aus der Handtasche und wählte hastig eine Nummer.
    Es dauerte eine Weile, bis ihr Gesprächspartner abnahm.
    »Hey, ich bin’s«, begrüßte sie die Person. »Sag mal, wär’s möglich, dass du mich heute Abend abholst? Bei diesem Mistwetter ... Ach so. Du lernst gerade?«
    Sie kratzte sich an der Stirn und wirkte ein wenig enttäuscht. Ihre Stimme klang belegt, als sie sagte: »Ja, ich verstehe. Aber ich dachte ... Ich habe dich schon seit einer Woche nicht mehr gesehen, Christian.«
    Ich trat durch die Regale näher zu ihr, bis ich genau neben ihr stand, neben der Kasse. Sie sah mich nicht, bemerkte mich nicht. Was

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