Nr. 799 (German Edition)
streckte ihren Arm aus und zog das Messer herbei. Als der Mann das merkte, packte er ihren Hals und begann sie zu würgen.
Luise schrie laut auf, umklammerte das Messer fester, stach zu und traf die Halsschlagader des Mannes.
Als die Hände des Angreifers sich lockerten, zog sie sich aus seinem Griff heraus und sprang auf. Sie lief davon.
Verdutzt blickte ich ihr hinterher.
Ja. Sie hatte es geschafft.
Doch der Mann, der noch immer auf dem Boden hockte, ließ seine Hand zu seinem Hals wandern. Er fühlte das frische Blut und schrie erschrocken auf.
Dann versuchte er aufzustehen, doch seine Beine gaben nach. Er versuchte es wieder, erneut erfolglos. Sein Blut floss nun in Strömen, vermischte sich mit dem Regen, tropfte auf den Steinboden.
Er fiel vornüber und blieb liegen, atmete weiter, hielt seinen Hals weiter fest, doch er starb nicht. Eine lange Zeit war er wach, blinzelte in den Regen, hustete. Bis irgendwann seine Finger erstarrten und seine offenen Augen auf das Messer starrten, das neben seinem Kopf auf dem Boden lag.
Ein Lichtball entschlüpfte seinem Mund und wollte der Studentin hinterher eilen, doch ich streckte den Arm aus und griff ihn mir, bevor er noch mehr Unheil stiften konnte.
Dann hörte ich die spöttische Stimme meines Ausbilders hinter meinem Rücken.
»Das war ja eine schwere Geburt, Nummer Siebenhundertneunundneunzig.«
Ich drehte mich zu ihm um und sah ihn verärgert an.
Doch er trat um den Leichnam herum und blickte mich nicht an. »Beim nächsten Mal dürfen Sie nicht eingreifen. Sie müssen einfach nur zuschauen. Für mehr sind Sie nicht bestimmt.«
Ich wollte ihm einen Fluch an den Kopf werfen, ihn anschreien, doch ich erinnerte mich wieder an die Worte des Doktors. Also knirschte ich mit den Zähnen und nickte einfach.
»Nun überführen Sie die Seele Ihres Schützlings«, flüsterte Nummer Fünf und grinste mich an. »Sonst wird er seine Mörderin ewig verfolgen.«
Sie ist keine Mörderin. Sie hat sich nur verteidigt , wollte ich ihm entgegnen. Stattdessen hielt ich den hüpfenden Lichtball in meiner Hand noch fester, um ihn nicht entkommen zu lassen.
KAPITEL 15
Ich lag in meinem Bett und hatte wieder Mühe einzuschlafen. Noch immer war ich völlig überwältigt von den Gefühlen, die mich während dieser Überführung heimgesucht hatten. Angst. Mitleid. Sorge. Trauer. So viel, dass ich gar nicht alles verarbeiten konnte. Ich fühlte mich schwer, dachte an David, an unser Gespräch davor in der Halle. Ich mochte ihn. Verdammt noch mal, ja, ich mochte ihn. Aber es war verboten. Ich war jemand, der gerne die Regeln brach, jedenfalls glaubte ich das mittlerweile von mir zu wissen, doch wie weit wollte ich gehen? Wie viel Mut hatte ich wirklich? Und was würde passieren, wenn ...?
Ich drehte mich auf die Seite und schloss die Augen, konzentrierte mich auf meinen Atem, versuchte nicht weiter an ihn zu denken. Irgendwie war mir das Ganze noch zu angsteinflößend, verwirrend. Ich musste ja erst einmal damit klar kommen, dass ich hier war. Ich hatte keine Zeit für ...
David.
Ich sah ihn vor mir, sein Lächeln, ich erinnerte mich an unsere erste Begegnung, ich spürte wieder, wie mein – totes – Herz schneller schlug.
Einschlafen, dachte ich. Ich sollte besser einschlafen.
Aber wieder drängte er sich in meine Gedanken, und ich fragte mich, ob wir in unserem früheren Leben schon Freunde geworden wären. Ich stellte mir vor, wie er mir irgendwann auf der Straße begegnete – und ich einfach an ihm vorbeilief. Ihn nicht bemerkte, weil ich ihn nicht kannte.
Was für eine schreckliche Vorstellung.
Während ich mir weiter den Kopf zerbrach, tauchte ich irgendwann ab und spürte, wie mich die Müdigkeit endlich überwältigte.
Ein Meer. Bierflaschen auf dem heißen Sand. Bastians Sonnenbrandrücken vor mir. Er hockt dort, blickt hinaus in den wundervollen Himmel, denkt nach.
Ich will ihn fragen, was mit ihm los ist, was ihn so beschäftigt. Doch ich will ihn nicht stören. Also kratze ich die Stelle über meiner Schulter, wo sich der entzündete Tattoodrache mit den Initialen befindet. Ich lege meinen Kopf zurück und genieße den Sonnenschein, der meinem Körper jegliche Anspannung nimmt. Ich fühle mich so frei in diesem Moment. Die Luft ist dank des salzigen Meerwassers schön frisch, überhaupt nicht stickig, wie in Berlin zu dieser Jahreszeit.
Unser gemeinsamer Urlaub ist ein voller Erfolg. Jedenfalls denke ich das.
Bis er mir etwas beichten will.
Er beginnt
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