Nr. 799 (German Edition)
herum wirkten totenstill, keine Lichter waren zu sehen. Nur die Dunkelheit der Straße, die Reifen vereinzelter Autos, die an uns vorbeirasten, und der Regen, der auf den Bürgersteig prasselte. Mit der Zeit verwandelte er sich sogar in einen Hagelsturm.
Verdammt.
Luise blickte hoch in den Himmel und seufzte, anschließend verstärkte sie die Lautstärke ihres Smartphones, um die Musik besser hören zu können.
Mit grenzenloser Wut schlug ich diesmal auf ihr bescheuertes Handy ein. Irgendetwas musste doch funktionieren. Wieso. Taten. Sie. Mir. Das. An. Ich ließ ganz sicher nicht zu, dass die Studentin starb. Ich würde alles tun, um sie zu retten. Scheiß drauf, was diese Anstalt dann mit mir tat. Ich HALF ihr. Ein letztes Mal boxte ich auf ihre Hand, und diesmal passierte etwas.
Überrascht zog ich den Atem ein und sah zu, wie das Handy von einer Art Wind – der eigentlich meine Hand gewesen war – auf den Boden geschleudert wurde.
»Hä?« Luise sah sich verwirrt auf dem Bürgersteig um, beugte sich zu ihrem Smartphone, um es wieder aufzuheben.
Genau in diesem Moment rannte der Mann auf sie zu.
»PASS AUF«, brüllte ich mir die eigene Seele aus dem Leib.
Und diesmal schien sie mich tatsächlich zu hören, sie blickte hastig auf, drehte sich um und entdeckte endlich den Mann.
Mit einer Schnelligkeit, die ich ihr nicht zugetraut hätte, zog sie aus ihrer Jackentasche ein Pfefferspray hervor. Bevor der Mann sie erreichte, sprühte sie los.
Sie tat das so lange, bis der Mann zurücktaumelte und sich die Augen an seinem Ärmel abrieb.
»Ich kann Karate, kommen Sie mir nicht näher«, schrie sie schrill.
Ich wusste nicht, ob sie die Wahrheit sagte. Aber ich war sehr beeindruckt.
Der Mann jedoch offenbar nicht. Nachdem er seine Verwunderung kurz verarbeitet hatte, hob er den Kopf wieder.
Doch Luise hatte bereits zu rennen begonnen. Sie hatte sich in Windeseile ihr Handy geschnappt und war losgehechtet. Wie eine trainierte Marathonläuferin eilte sie über die leere Straße auf die andere Seite.
Ich tauchte wieder neben ihr auf und feuerte sie an.
»SCHNELLER!« Mit einem Blick zurück stellte ich fest, dass der Mann die Straße ebenfalls überquert hatte, doch er schwankte unsicher, wirkte nicht ganz so zielstrebig wie zuvor. »BALD HAST DU’S GESCHAFFT!«
Ich hoffte nur, dass sie eine befahrenere Straße erreichen würde. Oder eine volle Bushaltestelle. Irgendetwas. Einen Ort, wo mehr Menschen unterwegs waren.
Doch als ich mich wieder der Studentin zuwandte, war sie langsamer geworden. Sie atmete pfeifend, als hätte sie nicht genügend Kondition.
Ich versuchte nach ihrer Hand zu greifen, um sie mit meiner merkwürdigen Kraft weiterzuziehen, doch wieder misslang mir das. Also blieb mir nichts anderes übrig, als ihr weiter gut zuzusprechen.
»Komm schon, komm schon, komm schon. Du musst das schaffen.« Für Mia , dachte ich und schluckte meine Tränen runter.
Und die Studentin nickte, als hätte sie mich verstanden, und rannte weiter durch den Regen. Ihre Jacke war ihr vom Kopf gerutscht. Ihre strohblonden Haare waren völlig durchnässt. Sie weinte nicht, doch ihre Unterlippe bebte. In ihrer Hand umklammerte sie noch immer das Pfefferspray.
Bald musste eine Abzweigung kommen, bald musste eine Straße voller Menschen kommen, die gerade von der Arbeit nach Hause fuhren.
Bald. Ich betete dieses Wort vor mich hin. Bald. Schaffen. Wir. Es.
Doch auf einmal stolperte sie.
Es war noch nicht einmal ein Hindernis auf dem Bürgersteig, sie stolperte einfach über ihre eigenen Füße, als hätte sie keine Kraft mehr. Schnell versuchte sie sich aufzurichten, doch der Mann erreichte sie einem wilden Tier gleich, das seine Beute in einem schwachen Moment erledigen wollte.
Als er über sie herfiel, sprühte sie wieder mit dem Pfefferspray, doch diesmal war der Mann darauf vorbereitet gewesen. Er schlug es ihr aus der Hand. Also trat sie ihm in den Magen. Ziemlich erfolgreich. Er stieß einen gequälten Laut aus und zog sein Messer hervor.
Würde ich es schaffen, ihm das Messer aus der Hand zu schlagen? Genauso wie ich es mit dem Handy gemacht hatte? Ich brüllte und trat gegen seine Hand. Einmal. Zweimal. Ich biss die Zähne zusammen und trat ein drittes Mal, mit all meiner Kraft.
Und tatsächlich, das Messer flog in einem hohen Bogen in die Luft und fiel scheppernd auf den Steinboden.
Überrascht sah der Mann auf seine leere Hand. Als sein Blick weiter zum Messer wanderte, war Luise schneller. Sie
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