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Nr. 799 (German Edition)

Nr. 799 (German Edition)

Titel: Nr. 799 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuna Stern
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wahrscheinlich ganz gut war, angesichts meiner seltsamen Verkleidung.
    Aber nun sorgte ich mich um sie. Sie war also mein erster Schützling? Ich musste diese junge Studentin ins Licht überführen? Ich bezweifelte, dass ich das schaffte. Sie war nur wenige Jahre älter als ich, und sie wirkte wirklich nett, wie ein Mädchen, dem man gerne alle seine Geheimnisse anvertraute. Wie eine gute Freundin.
    Ein Namensschildchen haftete an ihrer Bluse. Sie hieß Luise.
    Nachdem sie aufgelegt und ihr Handy weggepackt hatte, sah sie mit deprimierter Miene wieder hinaus in den Regen. Sie zückte eine Kaugummischachtel und zog einen minzgrünen Drops hervor, auf dem sie aufgeregt herumzukauen begann.
    »Idiot«, murmelte sie und lief zur Tür.
    Ich folgte ihr und spürte, wie meine Sorge immer größer wurde. Was würde mit ihr passieren? Ich hatte da draußen jemanden gesehen, da war ich mir sicher.
    Sie trat hinaus auf den verlassenen Parkplatz. Dort standen vereinzelt Wagen, die vom Regen abgespült wurden.
    Die Studentin zog ihre Jacke über ihren Kopf, um nicht nass zu werden. Offenbar hatte sie keinen Regenschirm dabei. Sie rutschte kurz auf einer Zeitung aus, die auf dem Boden lag, doch ehe sie hinfallen konnte, hielt sie sich gerade noch an einem Mülleimer fest, in dem sich Papiertücher und Softdrinkdosen tümmelten.
    »Eeew«, gab sie von sich und wischte sich angeekelt ihre Hand an ihrer Jeans ab, »alles so klebrig.«
    Anschließend hängte sie sich ihren Rucksack über die Schulter und lief los.
    Ich warf noch einen kurzen Blick auf die Zeitung und sah, dass sie vom dreizehnten Februar 2008 war. Auf dem Titelblatt standen Nachrichten, die von den Vorwahlen zur US-Präsidentschaftswahl handelten.
    Dann sah ich Luise hinterher, die gerade an einem geparkten Lastwagen vorbeihastete. Als ich dachte, dass ich aufholen musste, passierte etwas Merkwürdiges. Ohne, dass ich mich bewegen musste, war ich wieder in ihrer Nähe – nein, fast schwebte ich neben ihr her.
    Ich hielt den Atem an und sah auf meine Stiefel hinab, doch sie bewegten sich so, als würde ich laufen, nur ganz besonders schnell. Trotzdem fühlte es sich an, als würde ich mich auf einer Rolltreppe befinden, die mich in rasanter Geschwindigkeit vorwärts fuhr.
    Begeistert drehte ich mich kurz schwebend im Kreis, als ich plötzlich den Schatten entdeckte, der mir vorher schon aufgefallen war. Er gehörte zu einem Mann, dessen Gesicht von einem Pullover verdeckt wurde, und der uns verfolgte.
    Ich wollte Luise warnen, doch sie war völlig abgelenkt und schrieb gerade eine SMS an jemanden.
    Wie hatte David letztens gesagt? Das hier war unsere Aufgabe. Wir durften nicht eingreifen, bis die Seele den Körper der Frau verlassen hatte.
    Ich musste mir ansehen, wie das passierte.
    Nein.
    Ich konnte das nicht.
    Während ich den Mann betrachtete, fiel mir die kleine Mia wieder ein. Und ihre Angst. Ihre Bitte, dass ich den Mann vertreiben sollte.
    Wie konnte ich zulassen, dass es dieser Studentin genauso erging?
    »Lauf«, flüsterte ich ihr zu. »Sonst bekommt er dich.«
    Sie hörte mich nicht.
    »Luise«, sprach ich diesmal lauter. »Bitte, konzentriere dich. Schau nach hinten.«
    Der Mann kam nun immer näher. Er trug hohe Stiefel mit Nieten, in seiner Hand blitzte ein Messer auf. Wer war das? Was wollte dieser Idiot von der Kassiererin?
    »Hau ab«, zischte ich und schwebte auf den Mann zu, »verschwinde. Lass sie in Ruhe. Sie hat dir nichts getan.« Ich versuchte ihn anzurempeln, doch ich fuhr wie ein Geist durch seinen Körper hindurch und fiel selbst auf den Boden.
    »Hey«, brüllte ich wieder. »Nimm es mit Leuten auf, die genauso stark sind wie du. Und nicht mit einem ...«
    Diesmal blieb er für einen Moment stehen und sah sich stirnrunzelnd auf dem Bürgersteig um. Als ein Auto auf der Straße entlangfuhr, versteckte er das Messer schnell in seiner Tasche und eilte weiter.
    Nur noch wenige Meter, dann hätte er sie erreicht.
    »Luise.« Wieder tauchte ich neben der Studentin auf, die nun die Kopfhörer aus ihrer Tasche klaubte, um sie an ihrem Smartphone anzuschließen. Vielleicht wollte sie Radio hören und suchte nach dem richtigen Sender. Wie sollte sie mich nur hören, wenn gleichzeitig laute Bässe in ihren Ohren brummten?
    Ich versuchte ihr die Kopfhörer vom Hals zu ziehen, doch wieder scheiterte ich. Jedes Mal, wenn ich es ausprobierte, wurde meine Hand für einen Moment durchsichtig. Wie Nebel.
    Am Himmel blitzte es nun, die Hochhäuser um uns

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