Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nr. 799 (German Edition)

Nr. 799 (German Edition)

Titel: Nr. 799 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuna Stern
Vom Netzwerk:
stellte er nüchtern fest.
    Ich schwieg und wischte mir mit meiner freien Hand die Tränen aus dem Gesicht.
    »Was haben Sie gesehen?«, fragte er neugierig.
    »Nichts«, sagte ich mit heiserer Stimme und riss meine Hand von ihm los.
    Ich wollte aus diesem Zimmer verschwinden, zurück in meine Abteilung flüchten und nie wieder mein Bett verlassen.
    Für einen kurzen Moment hatte ich alles vergessen – alles, was hier vorgefallen war. Ich war wieder in Berlin gewesen, bei Bastian. Den ich nie wirklich geliebt hatte. Das war mir durch diese durchlebte Erinnerung schmerzlich bewusst geworden. Ich war mit ihm zusammen gewesen, weil ... Warum eigentlich? Ich wusste es nicht mehr.
    »Was haben Sie gesehen?«, wiederholte Doktor Aurelian P. seine Frage. Er sah mich streng an und holte ein Klemmbrett hervor, auf dem er nun einige Kreuze machte.
    »Bin ich Ihr Experiment?«, flüsterte ich.
    »Was?«, fragte er erschrocken.
    »Sie behandeln mich – nein, uns alle – so. Als würden Sie wissen wollen, wie wir reagieren, wenn diese Situation oder jenes Problem auftritt.«
    Meine Wut von vorhin war verraucht. Ich war einfach nur noch müde. Und traurig.
    »Nein.« Er schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, wir experimentieren nicht mit Ihnen. Wir müssen nur jede – ähm«, er überlegte kurz und rieb sich über die Nase, » Anomalie , ähm, Abweichung festhalten. Verstehen Sie? Ihre Vermutung ist absolut abwegig. Ich kann versichern, dass solche Experimente in unserer Anstalt nicht ausgeführt werden. Untersuchungen schon, aber das ist normal. Das müssen wir tun, um Probleme vorzeitig aus dem Weg schaffen zu können. Also ... wie ich es Ihnen vorhin schon erklärt habe. Gesunde Überführer sind das X und Y in unserer Anstalt.«
    Das X und Y? Meinte er das A und O? Das Alpha und Omega?
    Ich seufzte und richtete mich auf. Anschließend sah ich ihn nachdenklich an. Ein wenig verlegen wandte er seinen Blick von mir ab und ließ seinen Füller senken. »Doktor Aurelian P., bin ich ein Problem für Ihre Anstalt?«
    Unruhig begann er im Zimmer umherzuwandern. »Nein«, begann er, unterbrach sich jedoch gleich wieder. »Ja. Also ...« Er überlegte angestrengt. »Ich weiß es ... nicht .« Es klang, als würde er lügen, dachte ich misstrauisch. »Es kann sein. Dass der abartig kranke Charles beziehungsweise die hoheitsvolle Nummer Fünf «, mit seinen Fingern malte er Anführungsstriche in die Luft, »in Ihrer Gegenwart so seltsam reagiert hat, bereitet mir schon viel Sorge. Aber für den Anfang werde ich Sie zurückschicken«, grübelte er und kratzte sich wieder am Bart, »ja, das werde ich. Auch wenn das vielleicht keine gute Idee meinerseits ist. Aber Sie erscheinen mir nicht so risikoreich wie das Kind, das seine Erkenntnisse wahrscheinlich gleich mit der halben Welt geteilt hätte.«
    Er wirbelte zu mir herum und sah mich nachdenklich an, während er auf seiner Unterlippe kaute. »Das Kind, das Kind ist sich im vollen Bewusstsein darüber, wer es ist. Also war - bevor das Ganze hier geschehen ist. Und das ist bei Ihnen nicht der Fall, oder?«
    Ich schüttelte langsam den Kopf. »Nein, nicht durchgehend.«
    »Gut, das bedeutet, Sie durchleben irgendwelche Visionen, blitzartige Erinnerungen, während das Kind immer weiß, wer seine Familie ist, wie es aufgewachsen ist, auf welche Schule es gegangen ist und so weiter. Verstehen Sie nun, worauf ich hinaus will?«
    Ich nickte, obwohl ich weitere Fragen stellen wollte. Das war alles so verwirrend.
    »Hanna, Sie dürfen nicht weiter auffallen«, sagte er mit besorgter Miene. »Verstoßen Sie auf keinen Fall gegen Regeln. Provozieren Sie Charles Dumpfbacke nicht – denn glauben Sie mir, er lässt sich sehr leicht provozieren – und tun Sie, was von Ihnen verlangt wird. Wie schon gesagt, ich will nur Ihr Bestes.« Er seufzte laut. »Wissen Sie, ich habe auf dieser Anstalt schon viel erlebt, manchmal denke ich – nein, ich weiß – zu viel. Und daher ... Wir brauchen solche Köpfe wie Ihren. Wir brauchen Leute, die aufbegehren, um einen Wandel innerhalb der Anstalt zu ermöglichen, um Fortschritte zu generieren. Aber Sie müssen erst Ihre Ausbildung beenden. Vorher haben Sie hier leider nix zu sagen. Und ich wiederhole mich gerne noch einmal: Tun Sie nichts Verbotenes. Sie werden sonst erleben, dass es hier nicht ganz so locker zugeht, wie es bisher den Anschein für Sie gemacht haben mag.«
    »Locker?«, wiederholte ich fassungslos. »Bisher ist mir hier GAR nichts locker

Weitere Kostenlose Bücher