Nr. 799 (German Edition)
Gedanken verwirrten mich so sehr, dass ich noch schneller weiterblätterte. Und ja. Auf der vorletzten Seite entdeckte ich wirklich eine Karte, auf der mein Zimmer in der Abteilung Sechshundertzweiundzwanzig eingezeichnet war. Doch nur das. Mehr nicht.
Wie sollte ich nun ...? Ich wühlte mich weiter vor, las so schnell ich konnte. Wie viel Zeit hatte ich noch?
Auf jeder Seite stand Nummer Siebenhundertneunundneunzig, geboren am neunzehnten Januar Neunzehnhundertneunzig, gestorben am vierzehnten Dezember Zweitausendsieben. Diese drei wichtigen Daten waren überall geradezu eingraviert. Als wären sie alles. Als würden sie alles über mich aussagen. Was sie nicht taten!!!
Ich war nicht nur diese Person, über die in diesen Akten berichtet wurde. Ich war auch nicht nur diese verfluchte Nummer, die sie mir zugeteilt hatten.
Wer ich war, ließ sich nicht in Worte fassen. Ich fühlte einfach nur . Mehr gab’s da nicht zu erklären.
Ich fühlte. Für David. Mit David zusammen. Bei ihm. Fühlte ich.
Ich musste ihn finden.
Ich klappte den Ordner zu und seufzte. Gerade wollte ich das Behandlungszimmer verlassen, als mir etwas auf dem Boden auffiel.
Was war denn das? Ein Zettel! Ich beugte mich und hob ihn hoch. Nein, das gab es doch nicht ... Eine Karte der Anstalt, genauso wie ich sie mir vorgestellt hatte! Alle Aufzüge waren eingezeichnet, alle Treppen, sogar die Aula, die Kantine, meine Abteilung! ALLES!
Ich jubelte innerlich. Wie hatte ich sie übersehen können? War sie aus dem Ordner gefallen?
Das spielte keine Rolle. Ich hatte die Karte. Nur einen Ausgang fand ich darauf nicht. Ein einziges Tor war eingezeichnet ... Ich überlegte, ob ich es vielleicht schon einmal gesehen hatte. Hm ... Nein, oder? Oder etwa doch? War das nicht das Tor, durch das uns – ja! – durch das uns Nummer Fünf vor unserer ersten Überführung mitgenommen hatte? Hinaus in den Wald? War das etwa ...? Das musste der Weg sein. Das musste der Weg hinaus sein. Verdammt, ja! Wieso hatte ich nicht schon vorher daran gedacht? Warum war ich nicht schon vorher darauf gekommen?
So dumm. Ich schlug mir sachte gegen die Stirn, lächelte und packte die Karte ein. Anschließend atmete ich tief ein und machte mich bereit. Jetzt war es soweit. Für einen neuen Anfang im Diesseits. Aber erst musste ich David retten. Und dafür musste ich mich selbst in Quaränte begeben.
David war, so hatte mir Doktor Aurelian P. auf dem Weg zu meinem Quarantänezimmer verraten, auf der anderen Seite der Quarantänestation untergebracht geworden. Und die Tür meines Zimmers war nun abgeschlossen. Nicht die beste Ausgangssituation.
Diesmal befand ich mich wirklich in einer Art Zelle. Wenn ich durch das runde Fenster an der Tür in die Station sehen wollte, versperrten mir Gitterstäbe den Blick. Der Boden war mit Matratzen ausgelegt, sogar die Wände bestanden aus einem weichen Stoff, den ich nicht wirklich einzuordnen wusste. Es war so etwas Ähnliches wie Watte, graugefärbte Watte oder so. Ich boxte ein paar Mal dagegen, um zu sehen, wie widerstandsfähig dieser Stoff war. Doch er gab nicht nach, was vielleicht nur an meiner eigenen Kraftlosigkeit lag. Meine Armmuskeln waren scheinbar erbsengroß.
Später wollten sie mir Essen vorbeibringen. »Einen Teller Nahrung«, hatten sie mir erklärt, »und Vitamine.«
»Damit ich schön wachse?«, hatte ich spöttisch erwidert.
Und die Krankenschwestern lachten wie aus einem Munde. Nur dass es nicht ehrlich klang, eher wie eine eingespielte Reaktion. Als müssten sie so höflich darauf reagieren. Warum?
Warum wehrte sich hier niemand? Warum stellte niemand diese Anstalt, ihre Aufgaben, ihre Regeln infrage?
Ich krabbelte über die Matratze zur Tür und setzte mich dahin, wartete. Woher sollte ich bloß genügend Kraft nehmen, um sie zu überwältigen? Und wenn ich gar keine Chance gegen sie hatte? Es musste klappen. Irgendwie.
Ich schlief zwar nicht ein, doch meine Gedanken machten mich müde. Ich schloss die Augen und wartete weiter. Grübelte. In meinem Kopf wirbelten die vielen Bilder durcheinander, ich konnte mich gar nicht konzentrieren, es war wie ein Feuerwerk. Gedanken tauchten auf, verlöschten wieder. Sie ließen sich nicht greifen.
Ich war so müde. Ich musste wach bleiben.
Ein Klicken schreckte mich hoch. War das ein Schlüssel?! Nein. An der Tür, da gab es eine Klappe. Die war mir vorher gar nicht aufgefallen! Dadurch reichte gerade eine manikürte Hand ein Tablett mit Essen bis zu einem Tisch
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