Nr. 799 (German Edition)
weitere Geräusche erklangen. Das stete Piepen einer Maschine erreichte mich. Und dann so eine Art Rattern – eines Druckers?
Nicht anhalten. Weiter.
Ich warf einen Blick in die angrenzenden Räume. Die Türen besaßen allesamt runde Fenster, durch die die Ärzte und Krankenschwestern hineinsehen konnten, um die Patienten zu beobachten. Ihnen nachzuspionieren. Wer mich wohl beobachtet hatte? Und wann?
Und wer war die Person, die mir zur Flucht verholfen hatte?
Eine Stimme ließ mich vor Schreck fast hinfallen. Ich lehnte mich an die Wand und lauschte, bewegte mich nicht mehr.
»Nein. Nein. Nein.« So ging es weiter. »Nein. Nein. Nein.«
David, dachte ich erschrocken. Mein Herz setzte mehrere Schläge aus. Ich begann wieder zu frieren.
Es war seine Stimme. Er musste ganz in meiner Nähe sein. Ich lief die Türen entlang, achtete darauf, dass ich nicht zu viele Geräusche machte. Und hörte genauer hin. Sagte er noch etwas? Rief er womöglich nach mir?
Nein. Es war nur dieses Wort, das aus seinem Mund drang. Unaufhörlich. Wie bei einer kaputten Schallplatte.
Ich entdeckte ihn, durch das runde Fenster der dritten Tür, auf der rechten Seite des Flurs. Er war alleine. Nicht in einer Zelle wie die, in der ich gewesen war. Er lag auf einem Krankenbett, Schläuche tänzelten wie Schlangen auf seiner Brust herum. Sie waren giftgrün, wie passend.
Sein Zimmer war nicht abgeschlossen. Ich riss die Tür auf und trat ein.
»David«, wisperte ich.
Seine Augenlider flatterten, aus seinem Mund flüchtete weiterhin das Nein . Seine dunkelblonden Haare waren verschwitzt und klebten ihm an der Stirn.
Er war an eine Maschine angeschlossen, die irgendwelche Werte bestimmte. Kurvenartige Linien, die in die Höhe schossen und wieder abfielen, wenn er ausatmete. Was hatten sie ihm nur verabreicht? Er war gar nicht bei Sinnen!
Neben einem Waschbecken fand ich Papiertaschentücher vor, fischte mir eine Handvoll heraus und eilte zu David.
Ich trocknete sein Gesicht, so vorsichtig, dass er sich nicht erschreckte. »David, ich bin da«, sagte ich ganz nahe an seinem Ohr, damit er mich auch wirklich hörte, »du musst aufwachen. Wir müssen fliehen.«
Ich schüttelte ihn sanft, doch bewirkte nichts damit. Er lag weiterhin auf dem Rücken, mit dem Nein auf seinen Lippen. Und zitterte. Ihm war kalt!
Ich legte mich zu ihm, hielt ihn ganz fest umklammert, strich immer wieder über seine Arme.
Hoffentlich blieb uns genug Zeit. Wir mussten noch in dieser Nacht verschwinden. Während die Überführer schliefen. Ihre Energie sammelten, für den nächsten Tag. Wir mussten los. So schnell wie möglich.
Ich hörte David zu. Auch wenn nur ein Wort seine Lippen verließ, so schien er mir damit eine Geschichte erzählen zu wollen, mit seiner Vergangenheit zu kämpfen.
So wie er für mich da gewesen war, letzte Nacht, so blieb ich diesmal bei ihm. An seiner Seite. Wartete schweigend. Flüsterte ihm beruhigend zu.
»Es ist alles gut«, murmelte ich. Obwohl nichts gut war. Es vermutlich auch nie werden würde. Doch selbst mir half dieser Satz dabei, zuversichtlich zu bleiben. Weiter zu hoffen. Weiter zu machen.
Die Schläuche gaben merkwürdige Geräusche von sich. Ein Rauschen. Wie Wasser oder so. Wofür waren sie da? Ich hob sie hoch, lauschte wieder. Sie pumpten eine Flüssigkeit in seinen Körper! Wie dumm, dass ich nicht schon vorher daran gedacht hatte! Ich lachte über mich selbst. Dann löste ich blitzschnell die Nadeln aus seiner Haut. Sie waren überall. An seinen Handgelenken, an seinen Fingerkuppen, an seinem Hals. Was war das für ein Zeug?
Als ein Tropfen meine Haut berührte, begann sie zu brennen. Hastig schleuderte ich die Schläuche auf den Boden, wo sie mit der Flüssigkeit weiter um sich spritzten.
»Wach auf, David.«
»Nein. Nein. Nein.« Seine Stimme brach. Er zuckte zusammen, öffnete die Augen. Starrte mich voller Gleichgültigkeit an.
»Geht’s dir gut?«, fragte ich ängstlich.
Er setzte zum Sprechen an, schaffte es nicht, räusperte sich. Dann erhob er sich mühsam. Seine Gelenke knackten.
Als ich meine Hand hob, um seine Wange zu berühren, wich er vor mir zurück. »Wer bist du?«, fragte er.
Ich redete auf ihn ein, doch er hörte mir nicht zu, schüttelte den Kopf. Er glaubte mir nicht.
»Ich lüge nicht«, presste ich hervor. »Bitte, so glaub mir doch.«
Was hatten sie ihm für einen Mist verabreicht, dass er mich nicht mehr erkannte? Er lief im Raum umher, barfuß. Sein blassblauer Kittel
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