Nubila 01: Das Erwachen
und brachte sie dazu, kurz aufzusehen, weil sie sich versichern wollte, ob er die Frage ernst meinte.
„ Nein“, antwortete sie dann. „Wir ruhen uns drei Stunden am Tag aus und dösen ein wenig, um unsere Energie wieder aufzufüllen. Aber wenn es notwendig sein sollte, dann kommen wir auch tagelang ohne dieses Dösen aus. Richtig schlafen tun wir aber nie. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wie man träumt.“
„ Hm“, gab Jason einfach nur zurück.
Es war Delilah anzusehen, dass sie gerne mit ihrer Arbeit weitermachen wollte, aber jetzt war Jasons Neugier geweckt. Er hatte sich nie großartig Gedanken über die Diener gemacht, weil er sich daran gewöhnt hatte dass sie einfach da waren. Wie ein Mensch, der zwar immer Auto fuhr, aber keine Ahnung hatte wie es eigentlich funktionierte.
Was wusste er denn schon über die Diener? Er wusste, dass sie früher einmal Menschen gewesen waren und durch das Gift in ihrer aktuellen Position festfroren. Sie hatten keinerlei normale Vitalfunktionen, wie Atmung, Puls oder Stoffwechsel, sondern atmeten nur aus Gewohnheit, um Gerüche aufzunehmen. Sie benötigten rein theoretisch keinerlei Nahrung, da sie faktisch gesehen ja nicht lebten. Stattdessen schienen sie Energie über das Mondlicht zu beziehen, dem sie sich in regelmäßigen Abständen aussetzten. Sonne hingegen war für ihre Haut in höchstem Maße schädlich.
Vor allem musste man sie jedoch von Menschen und insbesondere von Blut fernhalten, denn wenn ein Diener jemals menschliches Blut zu schmecken bekam, war er verloren. Er verwandelte sich in einen Wilden, eines dieser grausamen Wesen, die nicht nur Menschen, sondern auch Angehörige der Herrenrasse angriffen, um ihnen das Blut auszusaugen. Sie waren unkontrollierbar, gewissenlos und wurden nur von ihren Instinkten geleitet. Ähnlich wie bei den Dienern gab es nur zwei Dinge, die ihnen wirklich schaden konnten: direktes Sonnenlicht und eine weitere Portion Gift. Wenn ein Diener ein zweites Mal von einem Herrn gebissen wurde, konnte ihn das töten. Einem Herrn hingegen machte der Biss eines Dieners nichts aus, weil sie kein Gift besaßen. Das schlimme war in diesem Falle nur der Blutverlust.
„ Was weißt du noch über dein früheres Leben, Delilah?“, fragte Jason an Delilah gewandt. Seine Neugier war jetzt geweckt.
„ Nicht viel, Herr“, antwortete Delilah ausweichend. „Wie ihr sicherlich wisst, werden die meisten unserer Erinnerungen gelöscht. Ich bin bereits als Kind in die Fabrik gebracht worden und habe daher kaum etwas, an das ich mich erinnern könnte. Manchmal, da kommen ein paar Erinnerungen wieder hoch. An meine Familie und an meine Freunde. Aber als man mich in die Fabrik brachte, war ich ein Waisenkind. Ich sollte also wahrscheinlich ganz froh sein, dass ich mich an die meisten Dinge nicht mehr erinnern kann.“
Jason nickte. Er kannte die Geschichten über den Gedächtnisschwund, aber er hatte sich nie sonderlich dafür interessiert. Nun jedoch, wo er mit eigenen Augen zu sehen bekam, was die Verwandlung mit jemandem anstellen konnte, begann er plötzlich ein allgemeines Interesse dafür zu entwickeln.
Wie viele Gemeinsamkeiten mochte es wohl zwischen den Dienern und seiner eigenen Rasse geben? Die Menschen waren für ihn Tabu, weil sie eine viel zu große Versuchung darstellten. Aber was war mit den Dienern. Warum war es ihm als Kind verboten worden, sich näher mit ihnen zu befassen? Und weshalb wurde es nicht gerne gesehen, wenn man sich ohne bestimmten Grund mit ihnen unterhielt?
„ Herr“, sagte Delilah zurückhaltend und riss Jason damit wieder aus seinen Gedanken.
„ Tut mir leid, Delilah“, sagte er schnell, weil er davon ausging, dass sie gehen wollte. „Du kannst gehen.“
„ Der Krach hat aufgehört“, sagte Delilah jedoch und warf der Tür hinter ihm einen misstrauischen Blick zu.
Sofort drehte er sich um und sah durch den Spalt. Es stimmte. Kathleen hatte aufgehört herum zu springen und lag jetzt ganz still auf dem Boden.
„ Hol Greg“, befahl Jason Delilah. „Und beeil dich. Ich gehe rein.“
Ohne seine Entscheidung zu hinterfragen eilte Delilah davon und rannte so schnell wie möglich die Treppe hoch. Die Diener waren schnell, aber zumindest das hatten die Herren ihnen voraus: Sie waren schneller. Nur dadurch war es den Herren überhaupt möglich die Diener zu kontrollieren oder die Wilden zu jagen. Sie waren schneller und intelligenter. Zwei wichtige Voraussetzungen für den Kampf.
Jason atmete
Weitere Kostenlose Bücher