Nubila 01: Das Erwachen
einen besonderen Status. Kein einziger der Diener würde es wagen mit dem Jungen zu sprechen, wie mit einem kleinen Kind. Er war der Sohn der Herrin und des Herrn und wurde daher auf Händen getragen. Seine Entscheidungen wurden nicht in Frage gestellt und seine Wünsche wurden immer umgehend erfüllt.
Jason schüttelte verwundert den Kopf. Zu seiner Kindheit waren die Ansprüche an die Diener noch nicht so hoch gewesen. Natürlich hatte es auch damals schon Diener gegeben, aber noch nicht so viele und vor allem waren sie nicht so isoliert gewesen wie heute. Delilah beispielsweise war früher eine richtig offene junge Frau gewesen, die nie im Leben auf die Idee gekommen wäre die ganze Zeit mit gesenktem Kopf durch die Gegend zu laufen. Aber die Zeiten hatten sich geändert. Es war verboten eine persönliche Beziehung zu den Dienern aufzubauen und soweit Jason wusste hielten sich auch alle daran.
„ So“, sagte Antonio und stand auf, als er mit Simons Knie fertig war. „Pass beim nächsten Mal ein wenig besser auf was du tust, junger Mann, ok?“
„ Du hast mir gar nichts zu sagen, Blödmann“, rief Simon mit grimmiger Miene, sprang auf und trat dem Arzt mit voller Wucht gegen das Schienbein. „Das ist dafür, dass du mich nicht richtig geheilt hast.“
Dann drehte er sich um und rannte an Greg und Jason vorbei nach draußen.
Antonio verzog keine Miene, sondern riss sich zusammen und zeigte nur durch das zusammenballen seiner Hand, dass ihn das Verhalten des Kindes gestört hatte. Obwohl der Tritt ziemlich kräftig ausgesehen hatte, schien Antonio ihn kaum gespürt zu haben, sondern sich eher über die Geste an sich aufzuregen.
„ Dieser Junge verdient eindeutig eine Tracht Prügel“, sagte Greg verwundert und sprach Jason damit aus der Seele.
Greg war zwar wenig älter als Simon, hatte jedoch sehr viel mehr Respekt vor den Dienern, als der Junge.
„ Hallo Antonio“, sagte Jason freundlich und lächelte dem älteren Heiler zu.
Er kannte Antonio schon sein ganzes Leben und achtete ihn für sein Können und seine Lebenserfahrung. Jason war der Meinung, dass Antonio aufgrund seiner Stellung eine gesonderte Behandlung verdient hatte und er erwartete von dem älteren Mann auch nicht, dass er sich vor ihm erniedrigte.
„ Hallo junger Herr“, gab Antonio zurück und erwiderte Jasons Blick. „Wie ich sehe habt ihr einen Ringkampf mit unserem Neuling hinter euch, nicht wahr?“
Jason schnaubte unzufrieden. Sein Arm pulsierte unangenehm und er ärgerte sich immer noch darüber dass er es nicht geschafft hatte Kathleen auszuweichen. Immerhin war er bei der Force gewesen. Er hatte bereits zigmal gegen Wilde und gegen Wölfe gekämpft oder Verbrecher aus ihren Löchern gejagt. Und dennoch hatte er sich von diesem Mädchen überraschen lassen.
„ Wird das eine Narbe geben?“, fragte Greg fasziniert, während Jason sich auf die Liege setzte, um seine Wunde von Antonio säubern zu lassen.
„ Wahrscheinlich nicht“, gab Antonio zurück, während er Jasons Ärmel zerriss. Das Hemd war voller Blut und auf keinen Fall mehr zu gebrauchen. „Wenn Ihr den Herrn gebissen hättet, dann würde er auf jeden Fall eine Narbe zurückbehalten, aber da meine Art kein Gift hat, wird die Wunde wahrscheinlich ganz normal wieder zuwachsen.“
Greg nickte ernst. Er schien sich der Verantwortung, die auf ihm genauso wie auf jedem anderen seiner Rasse lag, durchaus bewusst zu sein und Jason hoffte, dass Greg aus dem Vorfall mit Laney etwas gelernt hatte. Eigentlich war er über das kritische Alter aber schon längst hinaus.
„ So“, sagte Antonio schließlich, nachdem er die Wunde gesäubert hatte. „Ich kann das nicht nähen, weil es sonst falsch zuwachsen könnte, aber da Ihr schnell heilt, vermute ich, dass es keine Probleme geben sollte.“
Jason hatte die ganze Zeit über keinen Mucks von sich gegeben und richtete sich jetzt auf. Im Gegensatz zu den Dienern war seine Rasse vergleichsweise verletzlich und natürlich sehr viel lebendiger, wie er fand. Er konnte sich das Knie aufschlagen, sich das Bein brechen oder sonstige Verletzungen erleiden. Aber er war praktisch immun gegen alle menschlichen Krankheiten. Und Obwohl die Diener sehr viel unverwüstlicher waren, hatten die Herren einen entscheidenden Vorteil: Sie konnten sich vermehren und sie hatten das Gift, das die Diener erschuf. Ohne die Herren, würde es keine Diener und keine Wilden geben, wobei man auf letztere natürlich gut hätte verzichten können.
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