Nubila 01: Das Erwachen
Haare aus dem Gesicht. Diese beiläufige Geste war für Violette typisch, aber Jason wusste, dass sie auf viele Männer äußerst einladend gewirkt hätte. Als Violettes Bruder nahm er solche Dinge glücklicherweise nur am Rande wahr, aber er hatte auf Partys schon oft genug gesehen, wie die Männer auf sie reagierten, um zu wissen, dass ihr Verhalten ungewollt sinnlich wirkte. Sie war wunderschön, aber nicht auf so eine kühle, perfekte Art wie Kara, sondern eher auf eine verführerische Weise, die den Männern schier den Verstand raubte.
„ Glaubst du, dass ich es schaffen werde das Herrenhaus zu führen, wenn Viktor und Mom schlafen?“, fragte Violette und sah Jason forschend ins Gesicht.
Überrascht lachte Jason auf und schüttelte dann den Kopf.
„ Darüber zerbrichst du dir den Kopf, Vi?“, fragte er ungläubig. „Ich hätte nicht gedacht, dass du ein so geringes Selbstbewusstsein hast.“
„ Viktor hat mich vor der ganzen Familie als kindisch hingestellt“, erklärte Violette missmutig. „Ich glaube, er und Mom bereuen bereits, dass sie nicht doch dir die Leitung übertragen.“
Jason schwiege eine Weile und wählte seine Worte dann mit Bedacht. Er selbst war in der Tat unsicher, ob Violette das Zeug dazu hatte, für eine so lange Zeit das Herrenhaus zu hüten, aber andererseits hatten seine Eltern recht. Er hatte zu viel mit Laney und Kathleen zu tun, und war immer noch nicht über Karas Tod hinweg. Violette hingegen hatte keine weiteren Verpflichtungen.
„ Viktor will nur, dass du anfängst Verantwortung zu übernehmen, Vi“, stellte Jason fest. „Er und Doreen machen sich Sorgen, weil du in deinem Alter immer noch nicht verbunden bist und auch kein Interesse daran zeigst. Ich glaube, indem sie dir die Leitung des Hauses übertragen, wollen sie erreichen, dass du erwachsen wirst.“
Violette schnaubte missmutig und verschränkte beleidigt die Arme.
„ Also glaubst du nicht, dass ich es kann“, stellte sie fest.
„ Das spielt keine Rolle“, sagte Jason ausweichend. „Es ist nicht meine Entscheidung. Aber ich verspreche dir, dass ich dich dabei unterstützen werde.“
„ Danke, Jason“, sagte Violette ernst. „Deine Ehrlichkeit schockiert mich zwar, aber ich weiß zumindest, dass ich immer auf dich zählen kann.“
Ohne Jason die Gelegenheit zu geben sich noch weiter zu verteidigen, drehte sie sich um und schritt mit hoch erhobenem Kopf davon. Von dem Stolz, den sie stets zur Schau trug, konnten sich wahrscheinlich sogar die Ältesten noch eine Scheibe abschneiden.
Lächelnd sah Jason wieder zu Kathleen, die ihn aus ihren hellblauen Augen fixierte und jede seiner Bewegungen verfolgte.
„ Irgendetwas sagt mir, dass du mit Violette gar nicht gut auskommen wirst“, sagte er zu der verrückten Frau und drehte sich dann ebenfalls um, um zurück ins Haus zu gehen.
Kapitel 8
Das Erwachen
Ihr Kopf war absolut leer. Es war so, als hätte jemand einen Schwamm genommen und all die Erinnerungen an die Menschen in ihrem Leben einfach fortgewischt. Sie fühlte sich vollkommen benommen und ihr Körper war so steif, als hätte sie sich seit einer Ewigkeit nicht mehr bewegt. Sie versuchte sich zu strecken und stöhnte vor Schmerz auf, als sie ihren Arm ein wenig anhob.
Fußgetrappel drang an ihr Ohr und obwohl es nicht sonderlich laut gewesen sein konnte, hatte sie das Gefühl als würde eine ganze Elefantenherde auf sie zukommen, so dröhnend erschien ihr das Geräusch. Mit einer gewaltigen Kraftanstrengung gelang es ihr die Augen zu öffnen, aber sie wurde sofort von hellem Licht geblendet. Erschrocken schloss sie die Augen wieder. Es schmerzte und sie rollte sich instinktiv zusammen.
Als sie erheblich später wieder wagte ihre Augen zu öffnen, schmerzte es nicht mehr ganz so stark. Sie blinzelte ein paar Mal und richtete sich dann langsam auf. Was ihr als erstes auffiel war, dass sie sich in einem Käfig befand. Er wirkte wie ein Hundezwinger und war auch sehr ähnlich aufgebaut. Unter ihr war etwas Stroh und sie trug ein schlichtes, langes Hemd aus einem ziemlich groben Stoff.
Auf der anderen Seite des Käfigs stand ein Mädchen mitten im letzten Sonnenlicht hinter dem Gitter. Sie war ziemlich hübsch, hatte lange dunkle Haare und dunkelblaue Augen. Augen, die Kathleen irgendwie bekannt vorkamen.
Das Mädchen betrachtete Kathleen interessiert ohne ein Wort zu sagen. Kathleen öffnete den Mund, wusste aber irgendwie selbst nicht, was sie sagen sollte. Wo war
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