Nudeldicke Deern
sich bringt, die ganzen Vorurteile und Arschlochbemerkungen, die ich nach 40 Jahren brav verinnerlicht habe.
Aber die sind auf einmal nicht mehr so wichtig.
Ich habe meinen Kleidungsstil verändert, von den sackartigen Hosen und Jungsshirts zur taillierten Jacke und den Ohrringen. Ich schminke mich wieder jeden Tag, und ich freue mich darauf, unter Menschen zu gehen bzw. Menschen zu mir einzuladen. Weil ich mich endlich, endlich, endlich in meinem Körper wohl fühle. Oder zumindest Frieden mit ihm geschlossen habe. Ich bekämpfe ihn nicht mehr, ich beschimpfe ihn nicht mehr, ich hasse ihn nicht mehr. Ich kümmere mich um ihn und füttere ihn mit gutem Zeug. Und mit Schokolade, denn das ist auch gutes Zeug.
Und dieses neue Körpergefühl hat dazu geführt, dass ich dieses Jahr auf die Internetkonferenz re-publica [68] gefahren bin, von der ich wusste, dass mich dort viele Leute sehen, die nur mein winziges Profilfoto auf Twitter kennen, auf dem ich irgendwie dünner aussehe, als ich bin. Aber zum ersten Mal seit Jahren habe ich keine Angst mehr davor, unter Leute zu gehen, weil ich fett bin, weil ich weiß, dass es okay ist. Ich bin okay. Mein Körper ist okay. Und wer meinen Körper nicht okay findet, kann mir egal sein. Diese Souveränität klappt zwar noch nicht immer, aber es reicht, um alberne Fotos für eine Facebookgruppe zu machen, auf denen man mein Doppelkinn sieht. Weil es zu mir gehört. Weil ich das bin. Weil ich okay bin.
Um bei diesem Satz: «Weil ich okay bin» anzukommen, habe ich 30 Jahre gebraucht. Und deswegen fühlen sich die Facebookfotos für mich wie eine Heldentat an.
Blogeintrag 16. August
Über Kleidung
«Clothes, as I tweeted to a twitter friend, are not camouflage – no amount of clothing is going to make me look like a thin person. And, you know, I wouldn’t want it to. I want to wear things that make me joyous, things that make me look like
ME , things that kick ass. My idea of flattering probably isn’t the mainstream definition (which is more like: slimming) but
COME ON . Are we really still stuck in the days of dressing to hide, to diminish, to disappear?
I damn well refuse to participate in that.
Fat people are not invisible, nor should we aspire to be.»
[137]
(«Wie ich einer Freundin twitterte: Kleidung ist keine Tarnung. Keine noch so große Anzahl an Kleidungsstücken wird mich wie ein dünner Mensch aussehen lassen. Und weißt du was? Das will ich auch gar nicht. Ich möchte Kleidung tragen, die mich glücklich macht, Kleidung, in der ich nach MIR aussehe, Kleidung, die einfach klasse ist. Meine Vorstellung von schick ist garantiert nicht die Mainstream-Meinung – nämlich ‹vorteilhaft› –, aber mal ehrlich: Müssen wir uns wirklich immer noch verstecken, verstellen, müssen wir verschwinden?
Darauf habe ich aber so was von überhaupt keine Lust.
Fette Menschen sind nicht unsichtbar, und wir sollten auch nicht anstreben, es zu sein.»)
Ein Ausschnitt aus einem Blogeintrag von «The Rotund», einer Fat-Acceptance-Bloggerin. Im Eintrag geht es um ein Cafepress-Shirt einer weiteren dicken Bloggerin, die ausgerechnet vom Übergrößenhersteller Lane Bryant einen doofen Tweet an die Backe gekriegt hat. Um das Thema ging’s mir gar nicht, nur um das Statement: Klamotten sind dazu da, damit ich aussehe, wie ICH aussehen will. Nicht um irgendwelchen Idealen zu entsprechen, denen ich eh nicht entsprechen kann. Und niemand hat mir zu sagen, he, du bist zu dick, um irgendwas Bestimmtes anzuziehen. Nein, bin ich nicht. Wenn ich will, laufe ich im Bikini und Leggings durch die Gegend, und unglaublicherweise wird davon die Welt nicht untergehen, und du wirst keinen Augenkrebs bekommen.
Seit ich mit meinem Körper Frieden geschlossen habe, habe ich das auch mit anderer Menschen Körper getan. Ich versuche jeden Tag, meine innere Lästerschwester in die Verbannung zu schicken. Nicht jeder, der Flipflops trägt, hat pedikürte Füße? Egal. Nicht jede, die enge Shirts trägt, hat Größe 34? Egal. Es ist egal, nein, es hat mir verdammt nochmal egal zu sein, wie der Rest der Welt rumläuft. Jeder und jede sollte sich so anziehen dürfen, wie er oder sie es möchte, ohne dass irgendjemand sich auf ein hohes Ross schwingt und meint, er oder sie habe da aber ’ne ganz andere Meinung zu. Kannst du ja haben, aber: Warum sollte ich auf dich hören? Ich hör ja auch nicht auf dich, wenn du mir sagst, dass die Böhsen Onkelz
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