Nuhr, Dieter
das von Briefmarkenfreunden, dann muss man etwas machen, sonst
stirbt man und denkt noch auf dem Sterbebett: »Oh, ich habe die malaysischen
Wohlfahrtsmarken noch nicht eingeordnet.« Das ist Unglück.
Wir alle streben ja nach dem Glück. Das hat Aristoteles ja
in seiner Nikomachischen Ethik beschrieben. »Das persönliche Glück ist das
höchste Gut des Menschen.« Jetzt denken Sie vielleicht: »Stimmt nicht. Es gibt
Menschen, die suchen immer nur das Negative.« Stimmt. Aber die sind halt
glücklich, wenn sie sich auffegen können.
Für meine Nachbarin zum Beispiel gibt es nicht Schöneres,
als wenn die Treppe nicht geputzt ist. Dann ist sie in ihrem Element. »Nicht
geputzt« heißt, dass mit dem Elektronenmikroskop noch atomare Restbestände von
Flusen zu entdecken sind. Ein solcher Fund zerstört ihr seelisches
Gleichgewicht.
Dann tritt der nächste Grundsatz von Aristoteles in Kraft,
der da lautet: Glück ist nicht ein ständiger Glückszustand, also eine
fuselfreie Treppe, sondern das Streben zum Schönen. Und erst der
mikroskopische Fusel ermöglicht meiner Nachbarin den tapferen Kampf um das
Erreichen des obersten Glücks, des antiseptischen Treppenhauses. Das laute Klagen
auf der Treppe über die schlampige Treppensäuberung ist der Kampf um das Ideal
des Schönen. Wahrscheinlich hat Aristoteles mal ein paar Jahre in Schwaben
gewohnt, und da hat er das gelernt.
Glück entsteht nur in der Verflochtenheit des Einzelnen
mit der Welt. Erst die Existenz von schlechten Treppenputzern macht das große
Glück einer keimfreien Treppe zum höchsten Gut meiner Nachbarin. Das habe ich
von Aristoteles gelernt. Der war der Erste, der über das Glück nachgedacht hat!
Der wusste nicht, dass irgendwann einmal Leute mit Glücksratgebern
viel Geld verdienen würden. Sie werden beschaulich gucken und allen mitteilen:
»Glück ist ganz einfach! Schreibe einen Glücksratgeber und du wirst im Geld
schwimmen!« Das macht zwar auch nicht glücklich. Aber reich.
Und jetzt gehe ich und versuche, ein paar MauMau-Spieler
und Pferdepostersammler zu bekehren. Ein bisschen Glück sollte mir doch auch
vergönnt sein.
Streit 18.
November 2003
Haben Sie auch manchmal Beziehungsstreit wegen Kleinigkeiten?
Gestern fragte mich meine Freundin: »Meinst du wir werden alt miteinander?« Und
ich antwortete: »Du ja.« Dabei wollte ich eigentlich sagen: »Du, äh, ja.« Aber
eine so kleine Differenz in der Betonung kann einen Ärger geben ... Mein Gott,
wir alle werden älter, das ist doch nichts Schlimmes! Die einzige Alternative
zum Altwerden ist ja der Tod, und der ist ja auch nicht so ein attraktives
Angebot.
Und in dieser kurzen Lebenszeit soll man doch nicht auch
noch streiten. Aber gerade beim Altern sind Frauen sehr empfindlich. Wenn Sie
einer ägyptischen Mumie sagen: »Sie sind aber auch nicht mehr die Jüngste«, da
trifft Sie noch 4000 Jahre später der Fluch des Pharao, dabei ist das doch
normal. Man kommt auf die Welt, man pubertiert, und schon beginnt der
Mumifizierungssprozess.
Frauen sind da halt empfindlich. Oft streitet man sich
über Kleinigkeiten. Das geht schon morgens im Badezimmer los, weil man
bestimmte Sachen ja auch gemeinsam nutzt. Kennen Sie zum Beispiel diese
Haarbürsten, bei denen man denkt: »Guck mal, da ist ja die Frisur schon drin!«
Da fragt man sich schon, ob man mit dieser Bürste alt werden
möchte. Ich finde schöne Haare wichtig, aber nur am richtigen Ort.
Überleben 24.
November 2003
Was machen wir eigentlich nach unserem Tod? Man weiß es
nicht. Vielleicht kommen wir ja wieder, in einem anderen Körper, als
Wildschwein oder als Kariesbakterie? Da kann man nur hoffen, dass die Hindus
Unrecht haben ...
Viele Menschen fragen sich, wie weit die Forschung in 500
Jahren sein wird? Soll ich mich vielleicht einfrieren lassen? Also ich bin da
eher skeptisch. Außerdem bin ich empfindlich, was Kälte angeht.
Außerdem weiß man ja nicht, wie die Welt aussieht, wenn
wir dann in 500 Jahren aufgetaut werden von Menschen, die medizinisch viel
weiter sind als wir. Wer weiß, was die dann mit uns machen? Vielleicht benutzen
sie uns als Ersatzteillager! Oder als Raumdekoration! Vielleicht stellen sie
mich nackt in ein Schaufenster. Das wäre mir schon unangenehm.
Man weiß ja nicht, wie die Menschen in 500 Jahren so drauf
sind. Wenn man den Leuten vor 500 Jahren gesagt hätte, das wir mal zu Millionen
zugucken, wie 22 junge Menschen im arbeitsfähigen Alter gegen ein Schweinslederimitat
treten, um
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