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Nuhr, Dieter

Nuhr, Dieter

Titel: Nuhr, Dieter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuhr auf Sendung
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so etwas.
    Ich bezweifle, dass sich Piaton überhaupt noch mit dem
Menschen beschäftigt hätte, wenn er einmal mit der S-Bahn gefahren wäre. Wie es
da aussieht. Überall Namenszüge mit Edding auf den Sitz geschmiert oder ins
Fenster reingekratzt.
    Jeder hat wohl so seine Art, etwas Bleibendes zu hinterlassen.
Piaton hat die Politeia geschrieben, und wer nicht so viele Worte kennt und
geistig nicht in der Lage ist, Papier zu kaufen, der schreibt halt Buchstaben
auf Straßenbahnsitze. Und zwar die, die er kennt. Meist vier oder fünf. Manche
sogar sechs. Das sind dann aber schon die Professoren unter den Fensterkratzern
und Sitzbemalern.
    Das finden Sie armselig? Da haben Sie Recht. Aber wenigstens
tragen Buchstabenkratzer keine Schlumpfsocken. Die sagen, das sei uncool.
Stimmt.
     
    Ordnung 20.
Dezember 2004
    Ich bin ein ordentlicher Mensch. Meine Großmutter hat
immer zu mir gesagt, ich solle einmal ein ordentlicher Mensch werden. Und daran
habe ich mich gehalten. Und heute bin ich ordentlich. Ich meine, ich bin kein
Pedant. Ich hasse es nur, wenn Dinge nicht im rechten Winkel liegen.
    Das liegt daran, dass ich im Kopf ein Chaot bin. Da ist
ein wildes Durcheinander, da feuern die Neuronen, und wenn sich dann zwischen
Hippothalamus und Nucleus accumbens etwas anstaut, bin ich so verwirrt, dann
schrubbe ich wieder mit der Zahnbürste das Klo und mit der Klobürste die ...
nein, ich will jetzt nicht ins Detail gehen.
    Ich will sagen: Nur Chaoten brauchen Ordnung. Meine
Freundin zum Beispiel hat Ordnung im Kopf, die braucht keine Ordnung um sich
herum. Sie verliert auch im Chaos nicht den Überblick. Sie bildet Haufen. Und
wenn ich sie frage: »Hast du mal dies oder das?«, taucht sie ganz tief ein in
einen dieser Haufen, gräbt hier ein bisschen, schaufelt da etwas beiseite, und
schon hat sie es gefunden. Ich lege alles säuberlich ab und finde nix.
    Weil ich den Tacker wieder nicht in die Schublade »Büromaterial«,
sondern unter »Sonstiges« abgelegt habe. Und unter »Büromaterial« finde ich die
neue Zahnbürste, die ich so lange gesucht habe, weil ich dringend das Klo mal
wieder saubermachen wollte.
    Man sagt ja: »Ordnung ist das halbe Leben.« Aber ich fürchte,
ich lebe in der anderen Hälfte. Das ganze Universum teilt sich ja in gleiche
Teile. Eine Hälfte Materie, eine Hälfte Antimaterie, und das löscht sich
gegenseitig aus. Deshalb finde ich den Tacker dann nicht mehr. Wahrscheinlich
habe ich den wieder genau auf den Antitacker gelegt, und dann hat es geknallt,
und weg war er. Das ist Quantenphysik. Das geht auch mit Tesafilm.
    Also frage ich meine Freundin: »Hast du noch Tesafilm?«
Und sie antwortet: »Klar!« Und holt ihn aus dem Schrank mit den Badelatschen,
dem Backpulver und dem Abiturzeugnis. Ich gehe davon aus, dass meine Freundin
die Quantenphysik überwunden hat. Sie hat die universelle Ordnung des Kosmos
begriffen. Liebe Weltraumphysiker, wenn ihr irgendwas sucht da draußen -
Planetensysteme oder intelligentes Leben oder Tesafilm, fragt einfach meine
Freundin. Die wird dann sagen: »Intelligentes Leben? Das liegt doch da
zwischen Alpha Centauri und Orion.« Und da ist es dann auch, da können Sie
sicher sein!
    Wer Ordnung im Kopf hält, findet auch was. Manchmal sogar
intelligentes Leben. Ich würde nie neue Lebensformen entdecken, nicht einmal,
wenn ich direkt davorstehe. Dann würde meine Freundin sagen: »Gib dem grünen
Männchen doch mal die Hand!« Und ich würde fragen: »Ein Alien? Wo?« Und weg
wäre er. Und würde überall im Weltall erzählen, wie unhöflich wir Menschen
sind. Dabei habe ich ihn nur nicht gefunden. Schade.
     
    Weihnachten 2004 22. Dezember 2004
    Mein schönstes Weihnachtsgeschenk war ein Chemiebaukasten.
Das war ein Geblubber und ein Qualm, wunderbar! Gut, es war schade um die
Meerschweinchen, aber als Kind denkt man halt, dass die etwas aushalten. Tipp
für alle Kinder: In Zaubertränke für Kleintiere sollte man kein Nitroglycerin
einmischen.
    Das war eine lustige Zeit damals. Weihnachten war noch
romantisch. Wenn heute Kinder mit dem Chemiebaukasten kleine Bomben unter dem
Baum bauen, weil sie die Bauanleitung auf dieser arabischen Website gefunden
haben, wird immer gleich gemeckert. Ich habe damals alles zusammengemixt, ein
Riesenspaß, und als es anfing zu kochen, habe ich es einfach weggekippt. Ich
habe damals möglicherweise die halbe Nordsee verseucht. Aber ist es nicht das,
was wir unseren Kleinen am Weihnachtsfeste mitgeben sollten: Verändert

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