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Nuhr, Dieter

Nuhr, Dieter

Titel: Nuhr, Dieter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuhr auf Sendung
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ist ja momentan so niedrig wie nie.
Natürlich sind die Leute nicht gesünder als früher. Aber im Angesicht der Arbeitsmarktlage
verzichten viele einfach auf das Ausschlafen montags morgens. Man ist ja auch
sonntags gar nicht mehr so oft besoffen. Alkohol ist ja auch wahnsinnig teuer
geworden. Außerdem ist man ihn nicht mehr so gewöhnt. Es soll ja Arbeitsplätze
geben, an denen wird gar kein Alkohol mehr getrunken. Das hat es vor 20 Jahren
nicht gegeben, zumindest nicht in der Verwaltung.
    Gut, Chirurgen, die saufen wahrscheinlich immer noch. So
ein Chirurg braucht eine ruhige Hand. Oder das hat mir neulich eine Stewardess
erzählt: Was trennt einen Haufen Lebensmüder von zwei Alkoholikern? Die
Cockpittür. Also es gibt offenbar noch Alkohol.
    Ich finde, dann soll auch der Buchhalter saufen dürfen,
oder? Ist doch blöd, früher musste der Buchhalter selber rechnen, da war er
ständig blau. Heute, wo der Computer für ihn rechnet, da könnte er ruhig
besoffen sein, aber er darf nicht mehr. Die Welt ist krank.
     
    Wiedererkennen 9. März 2005
    Kennen wir uns? Ich weiß es nicht. Ich behalte keine Namen
und keine Gesichter. Und das Schlimmste ist, dass ich immer versuche, diese
Unfähigkeit zu vertuschen.
    Ich treffe jemanden, und der Arglose begrüßt mich freudig:
»Mensch, das gibt's doch nicht!« Ich erwidere: »Ja, Wahnsinn ... gibt's
nicht!« Dabei blicke ich in ein mir völlig fremdes Gesicht. Dass es sich
überhaupt um ein Gesicht handelt, erkenne ich nur, weil ich mir tausendmal
gesagt habe: »Wenn du zwei Augen, eine Nase und einen Mund siehst, dann handelt
es sich wahrscheinlich um ein Gesicht.«
    Es gibt ja Menschen, die Gesichter und sogar Namen behalten,
die einfach alles wiedererkennen, selbst im Zoo die Affen. Zu mir kommen
Menschen und sagen: »Na?« Und ich denke: »Woher kenn ich den? War das der
gestern im Affenkäfig?« Ich weiß es nicht mehr.
    Aus lauter Peinlichkeit tue ich dann immer so, als wenn
ich selbstverständlich Bescheid wüsste, was ungünstig ist, weil die Wahrheit ja
am Ende immer rauskommt. Irgendwann sagt der Unbekannte: »Komm, stell mich doch
mal deinen Freunden vor!« In solchen Fällen simuliere ich Bewusstlosigkeit, was
im Grunde nicht mal gelogen ist. Mein Bewusstsein fühlt sich wie ausgelöscht
an.
    Ich kann Gesichter nicht behalten. Hunde behalten mehr als
ich, die riechen einmal ein bisschen zwischen den Beinen und wissen Bescheid.
Als Mensch sollte man das nur in Ausnahmefällen versuchen. Oder bei wirklich
guten Bekannten. Ich glaube auch nicht, dass Gott uns eine Nase gegeben hat,
damit wir uns im Genitalbereich beschnüffeln. Wahrscheinlich wollte Gott gar
nicht, dass wir uns wiedererkennen. Sonst hätte er uns ja ein Gedächtnis
gegeben.
    Für mich ist es eine Horrorvorstellung, morgens aufzuwachen
und die Frau neben mir fragen zu müssen: »Kennen wir uns nicht?« Und sie
antwortet: »Doch, wir kennen uns. Und wir wachen seit acht Jahren morgens zusammen
auf. Wie heiße ich?« In meiner Not werde ich antworten: »Hahaha ... och komm!
Meine Güte! Woher soll ich das wissen, ich bin gerade erst aufgewacht!« Gott
sei Dank stehen beim Scheidungsrichter die Namen auf den entsprechenden
Formularen. Da kann dann nichts mehr schiefgehen.
     
    Böse 15. März
2005
    Sensationellerweise haben amerikanische Psychologen in
einem großen Feldversuch mit Schwerstkriminellen herausgefunden, dass die
Neigung, andere umzubringen, auszurauben oder zu missbrauchen, nicht unbedingt
in einer sozialen oder medizinischen Fehlentwicklung begründet sein muss.
    Die Psychologen haben festgestellt, dass es auch ganz
schlicht so etwas geben könnte wie »böse Menschen«. Das ist eine ungeheure
Erkenntnis, auch wenn der gemeine Bürger das teilweise schon lange geahnt hat.
Es soll Menschen geben, die andere Menschen ablehnen, bloß weil sie
beispielsweise schon mal jemanden umgebracht haben. Das galt unter Psychologen
bisher als voreilig, weil man ja erst mal nachschauen musste, wieso er das
getan hat. Schlechte Kindheit, nervöser Magen oder vielleicht aus berechtigter
schlechter Laune.
    Die Möglichkeit, dass ein Dreckskerl vielleicht manchmal
auch nur deshalb ein Dreckskerl ist, weil er einfach ein Dreckskerl ist, war
ja in der Psychologie bislang gar nicht vorgesehen.
    Deshalb galt der Begriff »Dreckskerl« bisher auch gar
nicht als gerichtsmedizinischer Fachbegriff. Dreckskerl wurde politisch
korrekt umschrieben mit »Träger einer sozial

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