Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nuhr, Dieter

Nuhr, Dieter

Titel: Nuhr, Dieter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuhr auf Sendung
Vom Netzwerk:
die
Welt! Allerdings sollte der Nachwuchs dabei nicht den Chemiebaukasten
verwenden.
    Die Welt ist schließlich brennbar - wie übrigens auch der
Baum. Meine Großmutter weigerte sich damals, an der Bescherung teilzunehmen,
wenn nicht ein Eimer Wasser in der Diele war. Zur Sicherheit. Wir hatten ja
noch richtige Kerzen. Unsere Kinder kennen das ja gar nicht mehr: Kerzen, das
sind so brennende Stängel, und wenn die ganz heruntergebrannt waren, brannte
halt auch oft der Baum. Dann kam der Eimer zum Einsatz, der aus gebührendem
Abstand draufgekippt wurde, natürlich halb daneben, der Baum brannte weiter,
bis er aufhörte, und zu dem Brand kam auch noch der Wasserschaden. Das war
spannend.
    Wir Kinder waren Oma jedenfalls dankbar. So aufregend war
Weihnachten nie wieder. Und der schon vorher weitgehend nadelfreie Baum war
nachher nur noch als Sinnbild des Waldsterbens zu verwenden. Der Baum war ja
ohnehin jedes Jahr ein Anlass zur Depression. Bis mein Vater den im Ständer
hatte, stand die ganze Familie kurz vor der Scheidung, und es war kein Schnaps
mehr im Haus. Dann mussten wir uns das ganze Fest über anhören, wie er diese
verwachsene Tanne unter Einsatz seines Lebens mit den bloßen Zähnen passend
genagt hatte.
    Im erwachsenen Alter hat Weihnachten dann viel von seinem
Zauber verloren. Heute weiß man, dass das Abendrot am Weihnachtsabend nicht von
Plätzchen backenden Engelchen kommt, sondern vom rußfilterfreien Diesel.
Dennoch sollten wir feiern. In 20 Jahren werden wir auf dieses Weihnachtsfest
zurückschauen und seufzen, wie romantisch es damals war. Dann sitzen Aliens mit
am Tisch, lassen die Technoglocken wummern und fressen uns die synthetische
Gans weg. Weihnachten wird nie mehr so romantisch sein wie dieses Jahr. Freuen
Sie sich drauf.
     
    Nachts an der Ampel 18. Januar 2005
    Gestern habe ich an meinem Verstand gezweifelt. Ich stand
mitten in der Nacht an einer Ampel, minutenlang, weit und breit war kein
Zeichen von Leben zu erkennen - außer dieser Ampel. Und ich habe gewartet, bis
es grün wurde! Anstatt einfach loszufahren! Das ist wahrscheinlich ein Zeichen
geistigen Verfalls. Kilometerweit war kein Fahrzeug oder Fußgänger zu sehen.
Nach einer Minute hatte ich mir die Lippen blutig gebissen, weil ich dachte:
»Warum fahre ich Idiot nicht einfach?«
    Wenn man jedoch einfach fährt, geht meist im Busch gegenüber
ein Blaulicht an, wo zwei Ordnungshüter seit ein paar Jahren ein Lager
aufgeschlagen haben, um mitten in der Nacht anarchistische Autofahrer zu
bekämpfen. Und dann war es das mit dem Führerschein. Deshalb bleibt man stehen.
Warum spart man eigentlich nicht einfach den Strom für diese Dinger mitten in
der Nacht, auch wegen der Luftverpestung? Wahrscheinlich stehen bundesweit
Zehntausende Autos jede Nacht an völlig sinnlosen Verkehrslichtern herum. Aber
das hat natürlich einen ernsten Hintergrund.
    Überall im Universum walten Naturgesetze. Das beruhigt uns
Menschen, dass wir wissen: Überall ist Ordnung. Nirgendwo im Universum macht
es plötzlich Puff - und plötzlich fallen alle Gegenstände nach oben. Und so ist
das auch mit den Ampeln. Die leuchten nicht plötzlich grün, nur weil es dunkel
ist. Nein! Sie leuchten rot und halten uns auf und lassen uns sinnlos Benzin
verbrennen, damit der Mensch erkennt: Es ist alles in Ordnung, ich steh hier
dumm rum. Das ist praktisch wie im ganz normalen Leben. Man steht sinnlos in
der Landschaft und verbraucht Energie, aber man weiß: Das ist die Ordnung der
Dinge.
    Im Universum macht auch keiner morgens um vier den Mond
aus, weil keiner mehr hinguckt. Das geht nicht. Der Mensch braucht Inseln der
Ruhe, damit er merkt: Es geht nicht nur voran. Man muss auch mal innehalten,
gerade nachts. An einer solchen Ampel ist wahrscheinlich der Buddhismus entstanden
und die Meditation. Om heißt wahrscheinlich Grün.
    Ich bin dann nach Hause gekommen, und in der Nacht habe
ich geträumt, ich wäre einfach an meiner roten Ampel losgefahren, und plötzlich
sei der Mond heruntergefallen, die Sterne haben angefangen blau zu blinken, der
Wind heulte lalülala, und dann stand da plötzlich eine Hundertschaft Polizei,
weißleuchtend in Kampfanzügen und hat mich durchsiebt. In diesem Moment bin ich
schweißnass aufgewacht, weil es geklingelt hat. Und an der Tür stand ein
Polizist, der fragte, ob mir der Wagen da draußen gehöre. Ich habe nur gerufen:
»Nehmen Sie mich nicht fest! Ich gestehe alles!« Aber er meinte, ich müsse
mich nicht aufregen. Ich hätte

Weitere Kostenlose Bücher