Nuke City
Haare fielen der Frau locker über eine Schulter, und aus der Nähe konnte er erkennen, daß sie tatsächlich rot, aber sehr hell waren, fast blond. Ihre Augen waren groß und rund und smaragdgrün, ihr Mund war klein, aber ausdrucksvoll, und ihre Lippen hatten eine Farbe wie Blut. Sie richtete den Blick auf ihn und beäugte ihn mit belustigtem Desinteresse. Er sah, daß sie eine schwarze enge Halskette trug, an der ein einzelnes blasses Juwel in einer Goldfassung hing.
Er lächelte, ließ seinen Blick in eine andere Richtung wandern und dann wieder zu ihr zurück. Ihr Lächeln wurde ein wenig breiter, und ihre Lippen öffneten sich kaum merklich. Dann schloß sie die Augen und lehnte sich gegen die rote Neonsäule.
Kyle spannte sich. Hätte er es mit einer Magierin zu tun gehabt, würde er ihr Verhalten als sicheres Zeichen betrachtet haben, daß sie auf astrale Wahrnehmung gewechselt hatte und ihren Geist auf der Astralebene umherschweifen ließ. Doch Seeks-the-Moon hatte gesagt, daß sie wie er ein Geist war. Das bedeutete nicht nur, daß sie keinen echten Körper besaß, von dem sie ihren Geist trennen konnte, sondern auch, daß sie es gar nicht zu tun brauchte, weil sie mühelos auf beiden Ebenen zugleich sehen konnte.
»Moon«, sagte er in Gedanken.
»Ja?«
»Kannst du mich von deiner Position aus sehen?«
»Ja, das kann ich.«
»Was tut sie?« fragte Kyle, indem er einen Blick auf sie riskierte. Sie hatte sich nicht bewegt.
»Nichts«, sagte der Geist. »Soweit ich sehen kann.«
»Aha«, sagte Kyle.
»Beunruhigt?«
»Ja.«
»Du bist näher bei ihr«, sagte Seeks-the-Moon. »Du kannst mehr erkennen als ich.«
»Ich kann es nicht riskieren, mich zu verraten.«
Kyle sah sie wieder an, sah jedoch nur, daß sie wie erstarrt dastand. Eine Kellnerin bahnte sich einen Weg durch die Menge und kam ihm dabei näher. Er traf einen Entschluß und rückte näher, um der Frau behutsam die Hand auf den nackten Oberarm zu legen. Ihre Haut war in krassem Gegensatz zur Raumtemperatur kühl.
Ihre Augen öffneten sich, und sie betrachtete ihn ausdruckslos.
Kyle gelang ein Lächeln, wobei er ein unbestimmtes Gefühl wachsenden Unbehagens verdrängte. »Kann ich Ihnen etwas zu trinken kaufen?« fragte er so lässig wie möglich, obwohl er mehr oder weniger schreien mußte, um den Lärm zu übertönen.
Ihr Gesichtsausdruck änderte sich nicht. »Warum?« Sie sprach mit normaler Lautstärke, was ihn mehr oder weniger dazu zwang, Lippen zu lesen.
»Es ist so warm hier. Ich dachte, sie sind vielleicht durstig.«
»Das bin ich auch«, sagte sie, und er wollte schon der Kellnerin zuwinken, als ihn ihre Worte und ihre starke Hand auf seinem Arm zurückhielten. »Aber ich will nichts zu trinken.«
Er hielt inne, als seine Körpertemperatur bei ihrer Berührung plötzlich rapide fiel, um dann langsam wieder anzusteigen. »Was kann ich dann für Sie tun?«
Sie lächelte. »Heute abend nichts.«
»Könnte ich dann vielleicht...«
Sie ließ seinen Arm los und entfernte sich dann von ihm. »Gute Nacht.« Sie schlug die Richtung in den hinteren Teil des Clubs ein.
»Moon!« sagte Kyle auf telepathischem Weg, wobei er sich ebenfalls in Bewegung setzte, um ihr zu folgen, dabei jedoch ausreichend Abstand zu ihr hielt, so daß er sich in der Menge verstecken konnte, falls sie sich plötzlich umdrehte.
»Ja?«
»Sie geht am Geländer entlang und kommt genau auf dich zu.«
Vor ihm konnte Kyle gerade noch die Gestalt der Frau ausmachen, als sie sich der Damentoilette näherte und dann hineinging.
»Sie ist hineingegangen«, sagte Kyle zu Moon.
»Komm und bewache mich. Ich werde versuchen, einen Blick hineinzuwerfen.«
Einen Augenblick später tauchte Seeks-the-Moon neben seinem Meister auf. »Ganz wie in den alten Zeiten, nicht?«
»Ruhe«, schnauzte Kyle. »Ich werde einen Weitsichtzauber einsetzen, den sie eigentlich nicht bemerken dürften, egal wie mächtig sie sind.«
»Voraussichtlich.«
Kyle sah ihn an. »Was soll das heißen, voraussichtlich?«
Der Geist zuckte die Achseln. »Wir wissen nicht genau, womit wir es zu tun haben.«
Kyle nickte. »Bewache mich.« Er lehnte sich gegen einen Stützpfeiler. Das Wirken des Zaubers erforderte nicht die besondere Konzentration wie bei der Benutzung seiner Astralsinne, aber er wollte vorsichtig sein.
Die Kräfte der Magie wirbelten um ihn. Er streckte seinen geistigen Fühler aus und fing an, sie zu formen, sie mit seiner Aura zu verbinden, und zwar mit jenen Elementen,
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