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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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kleine, mit Chintz bezogene Kissen ein Lager für eine ramponierte Stoffpuppe bildeten. Auf einem Nierentisch vor dem Sofa lag ein großer dunkelblauer Himmelsatlas neben einem Stapel anderer Bücher über das Sonnensystem und seine Planeten.
    Ella setzte sich auf die Couch, lehnte sich zurück und schloss einen Moment die Lider. Wenig später erwachte sie mit einem Ruck, weil jemand sie berührt hatte. Tori stand, jetzt in einem Hausmantel aus löwenzahngelber Seide, vor ihr, mit leicht geröteten Wangen. »Du kannst gleich weiterschlafen«, sagte sie. »Aber lass mich vorher noch Bettwäsche aufziehen.«
    Sie wirkte verändert, nicht mehr so verzweifelt, selbstsicherer. Sie versuchte es sogar mit einem Lächeln, das für jeden echt gewirkt hätte, der nicht auf die Verzweiflung in ihren Augen achtete. Ella stand auf. »Ich möchte dich noch etwas fragen«, sagte sie, benommen vom abrupt unterbrochenen Schlaf. Sie holte ihr Handy aus der Jackentasche und rief das Foto auf, das sie in Annikas Praxis von der verwirrenden Grafik auf der Leinwand gemacht hatte. »Hast du das schon mal gesehen? Es hing bei Anni an der Wand. Hat sie dir das mal gezeigt?«
    »Nein.«
    Ella wollte das Handy bereits wieder zuklappen, als Tori hinzufügte: »Aber ich habe es trotzdem schon mal gesehen. Nur nicht bei Anni.«
    »Wo denn?« Jäh war Ella hellwach.
    »Hier.« Tori ließ sich auf die Couch fallen, nahm das große Buch über das Sonnensystem vom Beistelltisch und blätterte es schnell durch, bis sie es bei einer Doppelseite etwa in der Mitte aufschlug. Die großformatige Abbildung zeigte auf tiefschwarzem, an den Rändern ins Blaue, Violette und Dunkelrote spielendem Hintergrund eine goldene Kugel, umgeben von etwa zwei Dutzend kleineren, aber ebenfalls goldenen Punkten. Zwischen den Punkten schwebten noch zahllose weniger helle Körner wie winzige Löcher in der Schwärze des Alls. »Siehst du?«
    Ella setzte sich neben sie und verglich die schwarzweiße Grafik auf dem Display ihres Handys mit der farbigen Abbildung, und allmählich erkannte sie die Übereinstimmungen. »Ist das die Sonne da in der Mitte?«, fragte sie.
    »Ja.«
    »Und das andere, die Punkte, sind Planeten?«
    »Sterne«, erklärte Tori. »Genauer gesagt, die hellsten Sterne im Kosmos.«
    Ella spürte ein Flimmern in der Brust, als baute sich hinter ihrem Zwerchfell eine elektrische Spannung auf. »Haben die auch Namen?«, fragte sie. »Einath vielleicht? Oder Canopus?«
    Tori nickte und deutete auf einen Punkt ganz rechts in der Mitte der Abbildung. »Das ist Einath. Und das da Canopus.«
    »Das sind die hier, nicht?« Ella zeigte ihr noch einmal die Grafik. »Da rechts Einath und darunter Canopus.«
    »Genau, aber was die Zahlen dahinter bedeuten, verstehe ich nicht. Und der Text sagt mir auch nichts.«
    Dafür sagt er mir umso mehr. Ella spürte, wie das elektrische Spannungsfeld hinter ihrem Zwerchfell zu flackern begann. Sie wusste, was die Zahlen und die Anmerkungen darunter darstellten, aber was die gezeichneten Kreise und Linien bedeuteten, die zwischen einzelnen Sternen verliefen, sie miteinander verbanden oder isolierten, verstand sie nicht. »Das da unten rechts ist Alphard?«
    Tori nickte eifrig. »Ja. Und die beiden da ganz oben sind Markab und Achernar. Natürlich sind es auf der Zeichnung viel weniger, als im All tatsächlich existieren. Und alle bewegen sich, wusstest du das? Man kann ihren Weg am Himmel berechnen. Man kann sie vorhersagen. Sie haben eine Ordnung, eine Gesetzmäßigkeit, einen Sinn. Man kommt aus dem Staunen nicht mehr raus, wenn man sich damit beschäftigt, mit der Umlaufbahn der Planeten um die Sonne. Allein … allein mit Zahlen kann man die ganze Welt erklären, alle Geheimnisse, alle Naturgesetze!«
    Ihre Wangen waren vor Aufregung gerötet. »Wenn man sich das anschaut«, sie pochte auf den Weltraum-Atlas, »oder wenn man durch ein Teleskop guckt und sieht, wie schön das alles ist und dass man es mithilfe von Zahlen begreifen kann, dann verschlägt es einem glatt die Sprache. Dann sieht man, wie schön Zahlen sind. Wie schön Mathematik ist! Wie unendlich geordnet, die ganze Schöpfung …«
    »Aber was hat die Anordnung auf der Grafik zu bedeuten?«, unterbrach Ella sie. »Wovon hängt es ab, welchen Platz die Sterne hier auf der Abbildung einnehmen?«
    »Von ihrer Entfernung zur Sonne«, sagte Tori geduldig, »in Lichtjahren gemessen. Die Skala reicht hier auf dieser Abbildung von null bis hundertfünfzig Lichtjahre.

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