Nukleus
ausgedruckter Fotos. Den meisten Platz okkupierte ein schwarzer Apparat mit mehreren Skalen und einer Unzahl von Knöpfen und Reglern, vor dem ein Kopfhörer lag.
»Sie haben mir noch nicht erklärt, woher Sie wussten, dass Annika in Gefahr ist«, sagte Ella mit belegter Stimme, gleichzeitig müde und hellwach.
»Nachdem zwei von ihren Patienten auf ungeklärte Weise ums Leben gekommen waren, habe ich mich bei den anderen Patienten umgehört«, sagte Cassidy. »Einer erzählte mir, sie hätte einen Termin nicht eingehalten. Das passt nicht zu ihr, oder?«
Nein, das passt ganz und gar nicht zu ihr.
»Haben Sie vor zwei Tagen Annis AB per Fernabfrage abgehört?«, wollte Ella wissen.
»Nein. Ich habe genug damit zu tun, mich durch das ganze Zeug da zu arbeiten.« Er deutete auf die Arbeitsplatte. »Annis Computer, ihre Patientenunterlagen, Therapieaufzeichnungen. Ich habe versucht, so viel wie möglich aus ihrer Praxis zu schaffen, damit es nicht in die falschen Hände gerät. Vielleicht enthält es einen Hinweis darauf, wo sie sein könnte und vor wem sie sich versteckt.«
»Vor dem Teufel«, sagte Ella.
Cassidy zog seine Lederjacke aus und warf sie achtlos über die Lehne eines Drehstuhls vor dem Tisch. Dann legte er das Schulterholster mit dem Revolver ab, das er ebenfalls über die Lehne hängte. »Verstecken wir uns vor dem nicht alle?«
Ella sagte: »Sie hat mir einen Brief geschrieben, in dem sie das Meer erwähnt.« Die fehlenden Seiten fielen ihr ein. »Sie waren nicht zufällig auch in meinem Hotelzimmer, um meine Sachen zu durchwühlen?«
»Tut mir leid, damit kann ich nicht dienen.«
Cassidy drückte einen Knopf, legte einen Schalter um und presste seinen Daumen auf eine Taste. Ein rotes Lämpchen wurde grün, auf einer Skala schossen mehrere schlanke Lichtsäulen hoch, fielen wieder in sich zusammen und zuckten dann wieder nach oben wie Wasserfontänen vor einem Hotel in Las Vegas. »MI6 und BND sind nicht die Einzigen, die jemanden abhören können«, sagte er.
In den Lautsprechern erklang eine Männerstimme, laut und deutlich, als würde sich der Sprecher mit ihnen im selben Raum befinden. »Ihr habt sie verloren?«, fragte der Mann ungläubig. »Ihr seid von jemandem auf einem Polizeimotorrad überrascht worden und habt sie entwischen lassen?« Seine Atmung veränderte sich, als hätte er sie an eine Eiserne Lunge abgetreten, während er jemandem zuhörte, der ihn telefonisch ins Bild zu setzen schien. »Ich weiß mittlerweile, wer sie ist, und jetzt weiß ich auch, wer er ist. Sie hätten sich nur nie begegnen dürfen.«
Ein Klicken, dann ein Klappern, als er das ausgeschaltete Handy ir gendwo ablegte. »Sie haben sie verloren«, sagte er fast tonlos. »Sie soll ten sie neutralisieren, und stattdessen haben die Idioten sie verloren.«
»Wen haben sie verloren?«, fragte die Stimme eines anderen Mannes, die nicht aus einem Telefon kam. Er hatte einen deutlicheren Cockney-Akzent. »Hardcore-Candy?«
»Schlimmer. Die Ärztin aus Berlin. Ella Bach.« Er schwieg einen Moment, und die Fontänen auf der Skala fielen in sich zusammen, ehe sie jäh wieder emporschossen, als er lauter weitersprach. »Sie verstehen mich nicht, oder? Sie verstehen nicht, was das bedeutet.«
»Nicht ganz.«
Ein Rascheln ertönte, Stoff rieb sich an Stoff, wie wenn jemand eine Krawatte lockerte. »Sie war da, als die Farrow erledigt worden ist. Sie hat einen von uns verletzt und die beiden anderen gesehen. Und jetzt hat Cassidy sie.«
»Wussten wir, dass sie bei Hardcore-Candy war?«
»Nein.«
»Was hatte sie da verloren?«
»Sie ist auf der Suche nach ihrer Freundin. Nach Delilah.«
»Delilah ist ihr Codename für Doktor Jansen«, warf Cassidy zur Erklärung ein.
Nach einer Pause sagte der zweite Mann: »Und wenn schon, ist doch bloß eine Freundin …«
»Bloß eine Freundin«, wiederholte der erste. »Bloß!« Die Eiserne Lunge steigerte Druck und Tempo. »Ich will Ihnen mal was über diese Frau sagen! Ella Bach gehört zu der Sorte Mensch, die sich irgendwas in den Kopf setzt und nicht davon ablässt, bis sie es erreicht hat, koste es, was es wolle, und egal, was es ist. Mein Kumpel beim BND in der Deutschen Botschaft hat sie durchleuchten lassen. Wir wissen inzwischen alles über sie, einschließlich der Sachen, die sie bei LifeBook verschweigt. Als Mädchen war sie nichts Besonderes, aufgewachsen ohne Mutter, Papi war der Größte, es gab eine beste Freundin und kaum Jungen. Aber wichtig ist nicht, was
Weitere Kostenlose Bücher