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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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sie damals war, sondern welche Veränderung mit ihr vorgegangen ist, als sie beschlossen hatte, Ärztin zu werden.«
    Vage dachte Ella: Der Lauscher an der Wand hört seine eigene Schand. Sie spürte, dass ihre Knie weich wurden. Sie setzte sich vorsichtig auf die Couch.
    »Irgendwann existierte für sie nur noch die Medizin. Sie lernte wie eine Wahnsinnige, um einen Notendurchschnitt zu schaffen, der ihr das Tor zum Gelobten Land öffnete. Ging nicht ins Kino, ging nicht in Diskotheken, ging auch nicht in die Kirche, machte wahrscheinlich nicht mal mehr so richtig mit den Jungs rum. Las keine Bücher, außer sie hatten was mit Krankheiten zu tun, mit Lungeninfarkten, Ohrenfluss, Adrenalinschocks, Nierenversagen oder Tumoren aller Arten und Größen. Wollte schneller Hippokrates werden als Hippokrates selbst, und das als Frau!«
    »Sie scheinen ja mächtig Eindruck gemacht zu haben«, meinte Cassidy. »Verstehen Sie eigentlich alles, was er sagt?«
    »Das meiste«, sagte Ella.
    Der Mann in dem Lautsprecher redete weiter. »Jeder Cent Taschen geld floss in das ganze Zeug, das man wälzen muss, um seinen Dok tor machen zu können. Peace, Love and Rock’n’Roll? Nicht für unsere Ella. Arbeitete abends in der Drogenhilfe und in den Ferien im Krankenhaus, alles mit dem Ziel, die Ausbildung bis zur Approbation als Internistin abzukürzen, zwei Jahre eher fertig zu werden, als der Studiengang normalerweise vorgesehen hätte. Was sie natürlich mit links schaffte. Danach entdeckte sie ihr Herz für die Armen und Benachteiligten, führt einen Streik des Klinikpersonals an und sagt in Kunstfehlerprozessen gegen Kollegen aus, wenn sie nicht gerade durch die Straßen von Berlin rast und Hinz und Kunz das Leben rettet, ohne Ansehen der Person selbstverständlich. Und als wäre das alles noch nicht genug, legt sie sich letztes Jahr ganz nebenbei mit der gesamten europäischen Hochfinanz an und deckt eine Verschwörung auf, die sämtliche Regierungen auf dem Kontinent zu Marionetten krimineller Banker und Wirtschaftsanwälte degradiert hätte.«
    »Junge, bin ich toll«, murmelte Ella. Sie schloss die Augen und ließ den Kopf gegen die Rückenlehne der Couch sinken.
    »Tja, an Samson kommt sie jedenfalls genauso wenig ran wie Delilah«, sagte der zweite Mann.
    »Bis jetzt«, sagte der erste.
    »Wer ist Samson?«, fragte Ella mit matter Stimme.
    »Das ist die große Frage«, sagte Cassidy. »Ich vermute, das ist der Deckname für den, dem Anni aus ihrem Versteck heraus das Handwerk legen will und für den unsere Bekannten von MI6 und BND die Firewall bilden.«
    »Auf die Sie wie gekommen sind?«
    »Auf die ich gekommen bin, weil sie sich auf einmal sehr für Doktor Jansen und ihre Patienten zu interessieren begannen.«
    Ella stellte fest, dass es sie alle Kraft kostete, die Augen wieder zu öffnen.
    Cassidy schaltete den Tonbandmitschnitt aus. Seine blauen Augen waren inzwischen blutunterlaufen, und er sah so aus, wie er sich wahrscheinlich morgens im Spiegel erblickte. »Müde, was? Sie können hier auf der Couch schlafen. Ich bin in dem Zimmer gleich rechts. Das Badezimmer befindet sich hier links …«
    Doch Ella hatte bereits den Kopf auf die Couch gelegt. Das Nächste, was sie mitbekam, war, dass Cassidy das Licht löschte und leise die Tür schloss.

4 2
    Als Ella gegen Morgen aufwachte, waren die Schmerzen wieder da, im Hals, in der Brust und in den Beinen. Sie lag in Jeans und Bluse auf der Couch, in eine Wolldecke gehüllt. Ihre Kehle brannte wie Feuer, wenn sie schluckte, und als sie sich mühsam aufrichtete, fuhr ein Stich durch ihren Brustkorb. Es war noch nicht hell, aber der Revolver hing nicht mehr an der Stuhllehne vor dem Arbeits tisch; um das zu erkennen, reichte das Licht. In der Wohnung war alles still. Grauer Regen schlug gegen das große Fenster neben dem Frank-Sinatra-Spiegel.
    Ella dachte, dass es ihr besser gehen würde, wenn sie heiß duschen könnte. Vorsichtig schwang sie die Beine von der Couch. Bei jedem Schritt schienen ihre Muskeln aufzuschreien. Im Bad stellte sie fest, dass ihr Brustbein eine grünblaue Prellung aufwies, und am Hals zeichneten sich dunkle Striemen ab, wo Toris Mörder sie gewürgt hatte. An der Stirn verklebte getrocknetes Blut die Schramme, die der Streifschuss verursacht hatte. Sie wusch das Blut ab und stelle fest, dass sie kein Jod brauchte, nur ein Pflaster. Sie öffnete den Spiegelschrank über dem Waschbecken und fand dort alles, was sie benötigte.
    Sie verriegelte die

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