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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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lüsterne Kamele, was auch immer. Sir Hassan ließ also die jungen Männer unter Drogen setzen, vermutlich starke Opiate, und wenn sie das Bewusstsein verloren hatten, wurden sie in die prächtigen Gärten seines Palastes geschafft, wo sie sich nach ihrem Erwachen von den schönsten Frauen umgeben sahen, die sie umsorgten, salbten und ihnen auch sonst in jeder Hinsicht und allen bekannten Stellungen zu Willen waren. Zwischendurch gab es Haschischpfeifen satt. Nach drei Tagen wurden die Fidais wieder betäubt und aus den Gärten zurück in ihre gewohnte Umgebung gebracht. Dort schlugen sie die Augen auf, und die Ernüchterung war schrecklich, Lärm, Gestank, Hitze, saurer Wein, verdorrte Ernte, verdorrte Weiber. Aber sie waren fest davon überzeugt, im Schlaf einen Blick ins Paradies geworfen zu haben: Ich brauche nicht zu glauben, ich war da, ich habe es gesehen, ich habe es gefühlt! Kein Wunder, dass ihnen von da an kein Kamikazeunternehmen zu riskant war. Sie brannten nur so darauf, ihrem Führer zu folgen, nach Möglichkeit in den Tod, der ja nichts anderes war als das Tor zu einem schöneren Leben, und zwar nicht nur für sie, sondern auch für ihre Opfer.«
    Er trank den letzten Schluck Whiskey aus dem Becher, dann fuhr er fort. »Vor fünfzig Jahren, im Kalten Krieg, hat man bei uns und auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs etwas Ähnliches ausprobiert, inspiriert von den Nazis und ihren parapsychologischen Experimenten. Mithilfe von Hypnose, Gehirnwäsche und psychedelischen Drogen sollten besonders geeignete Versuchspersonen so manipuliert werden, dass sie ohne zu fragen jeden Auftrag ausführten, den man ihnen erteilte. Was aber den Nachteil hatte, dass man dem … nun, nennen wir es ›das Instrument‹ … dass man dem Instrument von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten musste, wenn man es für seine Aufgabe konditionieren wollte. Diese oft lästige Voraussetzung hat sich durch das Internet erübrigt. In gewisser Weise sind wir damit Sir Hassans Variante wieder näher, auch wenn dieses spezielle Programm noch mit einigen Kinderkrankheiten behaftet zu sein scheint. Vielleicht – vielleicht – nicht zuletzt, weil Anni denen ein paarmal in die Parade gefahren ist, indem sie ihre eigene Armee von Freunden und Freundesfreunden losgeschickt hat.«
    War das ein schwaches Lächeln, das sich auf seinen Lippen abzeichnete? Seine Stimme klang nicht nach Heiterkeit. »Aber auf lange Sicht gesehen werden sie es perfektionieren und auf diese Weise eine Spezial truppe rekrutieren können, die man in jeden beliebigen Kampfeinsatz gegen jeden Gegner schicken kann, und zwar ohne erklären zu müssen, warum. Ohne einen Rückzugsplan auszuarbeiten. Ohne irgendeine klinische Nachversorgung der Verwundeten, ja sogar ohne dass sich überhaupt jemand als Mitspieler im Hintergrund zu erkennen geben muss. Falls ein Soldat – ein Instrument – überlebt und vor Gericht gestellt wird oder vor Fernsehkameras reden will, bitte! Die Spur zu den Strategen im Hintergrund führt ins Web und versandet dort. Und die schöne neue Welt, die in den letzten zwanzig Jahren entstanden ist, wird ihnen einen fast unbegrenzten Nachschub an Instrumenten zur Verfügung stellen.«
    Abrupt drehte er sich um, zerdrückte den Becher in der rechten Faust und warf ihn in den Papierkorb neben der Arbeitsplatte. »Und wissen Sie, was es noch bedeutet?« Jetzt sah er sie an.
    »Nein«, sagte Ella.
    »Es bedeutet, dass ich mich frage, wie viele scheinbar unzusammenhängende Selbstmordattentate oder Massaker der letzten Jahre neu bewertet werden müssen. Es hat ja noch mehr Vorfälle gegeben, die denen von Berlin ähneln. Vielleicht hat das alles, zumindest in Deutschland, schon mit dem Massaker an dieser Schule bei Ihnen in Erfurt, im April 2002, begonnen. Sie erinnern sich, ein Schüler hat bei einem Amoklauf sechzehn Lehrer und Mitschüler erschossen und dann sich selbst umgebracht.«
    Ella erinnerte sich, denn erst kürzlich hatte sie gelesen, dass der Grundriss des inzwischen renovierten Schulgebäudes die Form eines Kreuzes habe – fast als wollte man damit jemanden oder etwas fernhalten.
    »Und es gab diesen Vorfall in der Nähe von Stuttgart. Wie hieß der Ort noch? So ähnlich wie Wimbledon …«
    »Winnenden«, warf Ella ein. »2009.«
    »Ja, im März 2009 in Winnenden. Fünfzehn Menschen wurden getötet, und dann tötete sich der Attentäter selbst mit einer Beretta.«
    »Das war anders«, sagte Ella.
    »Und Anders Breivik in Norwegen,

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