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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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Ellbogen auf die Knie gestützt, auf das Display seines Smartphones starrte.
    »Wie geht es ihr?«, fragte der Kommissar.
    »Sie ist tapfer. Sie kämpft.« Sie ließ sich neben ihn auf einen Stuhl sinken.
    »Sie sehen schrecklich aus«, sagte Abdallah.
    »Danke. Sie auch.«
    »Ich bin nur hässlich. Sie sollten sich wenigstens hier etwas hinlegen.«
    »Ich bin nicht müde.«
    »Sie sind müde.« Die süßen Datteln, da waren sie in einem kurzen Lächeln. »Sie könnten sogar im Stehen schlafen.«
    »Was meinten Sie vorhin übrigens mit ›Muster‹?«, fragte sie. »Sie sagten etwas vom Anfang eines Musters, als Sie im Wagen über die beiden verschwundenen Handys sprachen.«
    »Ach so, ja.« Abdallah zupfte ein frisches Kaugummi aus seinem Silberetui, das er ihr geistesabwesend hinhielt, bis ihm wieder einfiel, dass sie sich nicht verführen ließ. »Die meisten Taten folgen einer Gesetzmäßigkeit, und wenn es mehrere Taten sind, die zusammenhängen, ergibt sich irgendwann ein gemeinsames Muster. Daran erkennt man dann, dass sie zusammenhängen. Aber nicht am Anfang. Am Anfang der Ermittlungen ist man wie eine Fliege, die über ein Gemälde krabbelt, über so einen riesigen Ölschinken, wie er in den Museen hängt. Alles ist da, aber man erkennt es nicht. Anders als für die Fliege kommt für einen Bullen allerdings irgendwann der Mo ment, in dem er das erste Detail erkennt, dann das nächste und schließlich immer mehr – ein Muster entsteht, das immer klarer wird, bis sich ihm irgendwann das ganze Bild offenbart. Er schaut darauf und hat den Fall in toto vor sich und kann ihn lösen und den Täter fassen – den Maler des Bildes.«
    Ella schwieg einen Moment und dachte: Dass sich in einem der beiden Handys mein Foto befindet, ist ein solches Detail. Wer dieses Handy nun besaß und was es bedeutete, dass er es hatte, war ein anderes Detail, eines, das ihr Angst einjagte.
    »Wissen Sie, was ich nicht verstehe«, fuhr der Kommissar fort und ließ das Kaugummipapier achtlos auf den Boden fallen. »Dieser Kornack hat sich extrem widersprüchlich verhalten, finden Sie nicht? Er springt in Ihren Rettungswagen und zieht ein Skalpell aus der Tasche, aber statt jemanden zu töten, das Mädchen oder Sie, setzt er es sich selbst an die Kehle. Sie verhindern, dass er sich die Halsschlagader aufschneidet, falls er das wirklich vorgehabt haben sollte. Er knipst noch schnell ein Foto von Ihnen, der guten Samariterin. Später ruft er Sie dann an und bestellt Sie zu sich, und da geht er wirklich auf Sie los, bloß dass Hagen Sie beiseitestößt und an Ihrer Stelle sterben muss. Danach zündet er sich an, und nur der Umstand, dass er die Qual des Verbrennens völlig falsch eingeschätzt hat, führt dazu, dass er Sie und die anderen nicht mit in den Feuertod nehmen kann, wie es wohl geplant war.«
    »Vielleicht wollte er niemanden töten«, sagte Ella. »Vielleicht wollte er dagegen aufbegehren und hat mich deshalb zu warnen versucht, wollte lieber selbst sterben, als dem Kind oder mir etwas anzutun. Beim zweiten Mal war er dann einfach nicht mehr stark genug.«
    »Aufbegehren? Gegen wen?«
    »Gegen die. «
    »Und wer sind die? «
    »Unsere Freunde, hat er gesagt.« Ella zuckte mit den Schultern. »Vielleicht dieselben, die gestern auch den Mann mit dem Sprengstoffgürtel zu dem Massaker angestiftet haben. Alle beide haben vor ihrer Tat auf ihr Handy-Display gestarrt. Das legt doch die Vermu tung nahe, dass ihnen der Befehl oder der letzte Impuls für ihre Taten auf diesem Weg übermittelt wurde, entweder per SMS oder aus dem Internet.«
    Abdallah nickte anerkennend. »Sehr gut, das wäre eine Möglichkeit. Trotzdem wissen wir damit noch nicht, wer die sind. Außerdem fehlt auch weiterhin die Antwort auf die Frage, warum . Warum sich nicht im stillen Kämmerlein umbringen? Warum jemanden mitnehmen?«
    »Und warum mich?«, sagte Ella.
    »Genau, warum Sie? Weil Sie beim ersten Mal zur falschen Zeit am falschen Ort waren und beim zweiten Mal die Scharte vom ersten Mal ausgewetzt werden musste? Weil Sie etwas gesehen haben, was Sie nicht hätten sehen dürfen? Auf alle Fälle – nun, Sie wissen schon: Falls Ihnen noch was einfällt, rufen Sie mich an, ja?« Er tastete sein Jackett ab, durchsuchte erst die Innen-, dann die Außentaschen und seufzte schließlich enttäuscht. »Visitenkarten vergessen.« Er zückte einen schlanken, vergoldeten Kugelschreiber, hob das Kaugummipapier auf und kritzelte eine Telefonnummer auf die

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