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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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mehr war, denn sie lief ja, lief fort und schnell. Nicht dran denken, sagte sie sich, nicht hinsehen. Nicht zu dem toten Mann und nicht zu dem lebenden, der sie verfolgte.
    Allmählich ließen die Kopfschmerzen nach, und die Unruhe wich aus ihrer Bauchdecke. Sie wechselte die Straßenseite. Im Außenspiegel eines geparkten Mercedes konnte sie sehen, dass ein Stück weit hinter ihr ein Mann ebenfalls die Fahrbahn überquerte. Er lief schnell, hatte allerdings keine Laufkleidung an. Damit kommst du nicht weit. Ella blickte in jeden Außenspiegel, an dem sie vorbeikam, und nach einiger Zeit sah sie, wie die Schritte des Mannes unregelmäßig wurden. Inzwischen hielt er sich mit einer Hand die Seite, mit der anderen presste er ein Handy ans Ohr. Sie lief jetzt gerade so schnell, dass er sie nicht aus den Augen verlor.
    Am John-F.-Kennedy-Platz trat sie ein paar Sekunden auf der Stelle, um ihn näher kommen zu lassen, dann bog sie nach rechts in die Martin-Luther-Straße. Sie hatte den Punkt überwunden, an dem sie die Schmerzen noch als hinderlich empfand, und beschleunigte das Tempo. Nicht mehr lange, dann wurde es hell. Am Wartburgplatz hielt sie sich wieder rechts. Sie lief die Wartburgstraße hinunter bis zur nächsten Ecke, hinter der sie ihren roten Karmann-Ghia geparkt hatte.
    Sie sah sich um, stellte fest, dass ihr Verfolger sie nicht sehen konnte, und öffnete die Wagentür. Das Türschloss war schon seit zwei Monaten kaputt. Sie rutschte hinter das Lenkrad auf den unbequemen Cabriositz, holte ihr Handy aus der Hüfttasche und ließ sich zur Seite über den Beifahrersitz sinken, damit man sie von draußen nicht entdeckte. Sie konnte nichts sehen, nur das, was sich direkt vor dem kleinen Fenster an der Fahrerseite und einem Teil der Frontscheibe abspielte. Sie zitterte am ganzen Körper. Ihr Herz hämmerte gegen die Rippen, und sie dachte: Worauf wartet ihr? Warum beobachtet ihr mich? Wer seid ihr?
    Sie hörte erst nur ihren eigenen Atem, schnell und flach. Dann das Rascheln der Blätter in den großen Kastanien vor der Kirche. Schließlich das Stampfen von Schuhen auf dem Trottoir, Schritte, die sich näherten und langsamer wurden. Er weiß nicht, wo ich hin bin. Eine Männerstimme. Er telefoniert. Die Stimme sprach Deutsch, aber Ella konnte nicht verstehen, was sie sagte, nur dass sie lauter wurde. Er sagt, dass er mich verloren hat. Er klingt, als wäre er völlig außer Atem. Linkerhand stand eine Straßenlaterne, deren trüber Schein in den Wagen fiel, nur schwach, denn der Leuchtkörper war schmutzig, aber wenn jemand durch das Fenster hereinschaute, musste er sie bemerken. Hoffentlich bleibt er nicht stehen . Sie klappte ihr Handy auf.
    Da war er. Mit dem Handy am Ohr tauchte er neben dem Karmann auf, sein Gesicht war schweißbedeckt, und seine Brust hob und senkte sich schnell. Er drehte sich einmal um die eigene Achse, sah die Straße hinauf und hinunter. Er kennt meinen Wagen nicht. Sie hob das Handy und drückte auf den Auslöser, um ein Foto von dem Mann zu machen.
    Sie konnte die Schottersteinchen unter seinen Schuhen knirschen hören, und jetzt verstand sie auch seine Worte. »Nein«, sagte er, »nein, sie hat uns entdeckt. Wir brechen ab.« Pause. »Nein, das hat er ausdrücklich … das wollte er nicht!« Pause. »Das ist mir jetzt egal. Er ist tot. Ich warte auf …«
    Den Rest hörte sie nicht mehr, denn er war inzwischen weitergegangen. Vorsichtig richtete sie sich auf. Sie sah, wie er vorn an der Ecke stehen blieb, klappte das Handy zu und legte es auf den Beifah rersitz. Nach zwei Minuten näherte sich der schwarze BMW und hielt an der Ecke. Der Mann stieg ein, und der BMW wendete und fuhr in Richtung Grunewaldstraße.
    Ella startete den Karmann, der sofort ansprang. Ohne die Scheinwerfer einzuschalten, folgte sie dem BMW bis zur Ecke. Er wartete in der Akazienstraße an der roten Ampel und blinkte links. Sie schaltete die Scheibenwischer ein. Als das Signal wechselte, fuhr sie gleichzeitig mit dem BMW los, um die Ampel noch zu schaffen, bevor sie wieder umsprang. Die Grunewaldstraße war leer, und Ella achtete darauf, Abstand zu halten. Die Rücklichter des BMW schwebten über der mehrspurigen Fahrbahn auf die Kreuzung Martin-Luther-Straße zu. Der nasse Asphalt glänzte grauschwarz im Licht der Bogenlampen, um die sich ein dunstiger Hof gebildet hatte.
    An der nächsten Kreuzung blinkte der BMW rechts, Richtung Urania. Ella fuhr langsamer, bis auch diese Ampel grün wurde. Auf der

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