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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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schnell«, sagte sie. »So schnell geht das nicht.« Mit einem Ruck wandte sie sich von Julian ab und dem Kommissar zu, der gerade eine SMS tippte. »Ich bin so weit«, sagte sie.
    Ella lief. Sie lief so schnell, dass sie die Kälte nicht spürte. Auch den leisen Nieselregen, silbrig im fahlen Licht der Straßenlaternen, spürte sie nicht. Nur der bohrende Schmerz in ihrem Kopf war noch da, aber nicht so stark wie vorher, als Kommissar Abdallah sie zu Hause abgesetzt hatte. Sie hatte die ganze Fahrt über geschlafen und kaum mehr die Kraft gehabt, ihre Wohnungstür aufzusperren. Sie war sogar zu müde gewesen, um nach den beiden Männern in dem schwarzen BMW Ausschau zu halten. Sie hatte sich einfach auf das ungemachte Bett fallen lassen und war eingeschlafen, aber schon nach ein paar Stunden war sie wieder aufgewacht, von innerer Unruhe geweckt.
    Sie hatte gespürt, wie ihre Bauchdecke zitterte von dieser Was-geschieht-mit-mir?- Unruhe. Es kam ihr vor, als wäre sie ein Mikadostäbchen, das auf einem Tisch geworfen worden war, und Stück für Stück nahm jemand die anderen Stäbchen weg, bis sie allein dalag. Sie wollen mich isolieren, dachte sie. Ohne es zunächst zu merken, hatte sie das Wort sie gedacht. Das Paranoia-Wort. Das Hirngespinst-Wort. Deswegen hatte sie ihre festen, gepolsterten Laufschuhe angezogen und die Sporthose, und jetzt lief sie, schnell, schneller, erst durch die Akazienstraße bis zur Commerzbank, dann hinter der Kreuzung die breite Hauptstraße hinunter.
    An der Ecke Eisenacher Straße bemerkte sie, dass der einzige Wagen auf ihrer Seite des Grünstreifens langsamer fuhr, als sie an die Ampel gelangte, und schneller, als sie weiterlief. Sie schlug einen Haken nach rechts in den kleinen Park hinter der Schule und hörte Bremsen quietschen. Im Sommer liefen hier oft Hunde herum und sprangen einen an, und manchmal saßen Männer in Gruppen auf den Lehnen der Bänke, junge Burschen, bei denen Ella nie wusste, ob sie ihnen ausweichen oder geradewegs auf sie zulaufen sollte, aber jetzt war der Park nur dunkel. Die feuchten Wege unter den mächtigen Kastanien schimmerten matt, und sie lief querfeldein über die Wiese.
    Einmal blieb sie stehen, denn sie glaubte, hinter sich Schritte gehört zu haben, das Knacken eines zerbrechenden Astes. Auf ihren Ohren lag ein Druck, und sie keuchte so heftig, dass sie nichts als das ferne Rauschen des nächtlichen Verkehrs auf der Hauptstraße vernahm. Die Bäume rauschten, die Zweige ächzten im Wind, das war alles, und sie lief weiter. Sie hörte nichts, aber sie wusste, dass einer der Männer ihr folgte.
    Wer seid ihr? Wer hat euch geschickt?
    Einer folgte ihr, während der andere im Wagen blieb. Du wirst dich wundern, dachte sie. Mal sehen, wie gut du bist.
    Sie lief, bis ihr jeder Atemzug wie Feuer in die Lungen fuhr. Sie lief, und ihre Füße brannten, und glühende Nadeln durchbohrten ihre Beinmuskeln. Ihr Herz raste. Ihr Mund war ausgedörrt. Der Schweiß auf ihrer Haut war eisig. Aber sie lief weiter, auf den Friedhof zu, und bog dann nach links in die Belziger Straße. Die feuchten Sohlen ihrer Laufschuhe verursachten ein klatschendes Geräusch, das von den Häusern widerhallte. Jetzt hatte sie den Geschmack von Bleistiftminen im Mund, blieb trotzdem nicht stehen, sondern lief immer noch weiter, vorbei an den Fahrradständern, dem kleinen Gebrauchtwagen markt, der italienischen Eisdiele, den indischen und vietnamesischen Restaurants, bis sie am Ende der Straße das Rathaus düster in den schwach geröteten Nachthimmel ragen sah. Um diese frühe Stunde fuhren hier noch nicht viele Autos. Es waren auch kaum Fahrradfahrer oder Fußgänger unterwegs, nur ein Pärchen, fast unsichtbar bei der schlechten Straßenbeleuchtung.
    Ella entdeckte den Sanitäter unter einer Laterne; er stand da, schwarz verbrannt, und wartete auf sie. Rauch stieg in dünnen Fäden von ihm auf. Sie wechselte die Straßenseite und lief schneller, vielleicht bemerkte er sie dann nicht. Bloß dass seine mineralisch glitzernden Augenhöhlen sie schon fanden, bevor sie auf seiner Höhe war, und dann fiel er neben ihr in Tritt und lief mit.
    Nicht dran denken, dachte sie, aber sie sah ihn oben in der dunklen Wohnung auf sich zustürzen, schreiend und von Schweiß und Benzin glitzernd, und sie sah sich selbst, wie sie jetzt vor ihm wegzulaufen versuchte. Es war, als renne sie gegen die Zeit, die sie einholte. Immer wieder fand sie sich in Gedanken dort, wo sie körperlich schon lange nicht

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