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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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mich um, wenn ich mit einem Deutschen gehe.«
    »Warum sprichst du nicht mit deinem Vater?«, fragte Ella. »Ihm gehorchen sie, das habe ich gesehen.«
    »Mein Vater …« Nerin stieß die Luft aus, es war fast ein Fauchen. »Mein Vater ist ein guter Mann, ein guter Mensch, weißt du? Aber er ist stolz auf seine Söhne. Seine Söhne sind seine Stärke.«
    »Und dein Lehrer in der Schule?«
    »Der hat doch Schiss. Macht sich in die Hose, ja, wenn er hört, dass ich Abou-Khan bin.«
    »Oder jemand wie Kommissar Abdallah? Den kennst du doch, er ist einer von euch.«
    Nerin schüttelte den Kopf. »Abdallah ist keiner von uns mehr. Wenn ich mit der Polizei rede, bin ich eine Verräterin. Dann bin ich tot, dauert nicht lange. Niemand kann mich vor meiner Familie be schützen. Wenn sie sehen würden, dass ich hier mit Ihnen rede, würde ich Schläge kriegen.« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Niemand kann mich vor meinem Leben beschützen.«
    Join your life, dachte Ella.
    Die Wut wich so schnell von Nerin, wie sie aufgeblitzt war. Sie steckte die iPod-Stöpsel wieder in die Ohren und holte das Musikgerät aus der Jackentasche. »Jedenfalls, ich will nur, dass Sie auf Shirin aufpassen, damit sie mit ihr nicht das Gleiche machen wie mit mir. Weil, vielleicht bin ich nicht mehr da, wenn sie aufwacht. Sie wollen sie bald verheiraten, mit Yassim, aus einer anderen Familie. Er ist vierzehn. Mein Vater und der Präsident von dem anderen Clan handeln schon die Mitgift aus. Sie schicken Shirin jetzt noch betteln …«
    »Wer?«, fragte Ella. »Wer schickt sie betteln? Ich dachte, sie ist so was wie der Augenstern deines Vaters.«
    »Der weiß doch gar nichts davon. Ihre Brüder. Meine Brüder. Der Weg einer Frau. Bald wollen sie, dass sie stiehlt, und dann wird Yassim sie schlagen, und sie wird …«
    Sie unterbrach sich selbst und blickte Ella mit einem Ausdruck völliger Leere an.
    »Du erwartest zu viel von mir, Nerin«, sagte Ella. »Ich bin Ärztin, keine Sozialarbeiterin. Ich bin nur für medizinische Notfälle zuständig, nicht für Probleme in Migrantenfamilien. Du kannst nicht einfach zu mir kommen und mir erzählen, dass deine Brüder dich umbringen werden, und dich im selben Atemzug weigern, zur Polizei zu gehen. Ich würde ja gern dafür sorgen, dass dir nichts passiert, und auch, dass Shirin behütet zu einer jungen Frau heranwächst, die mit einem Mann glücklich wird, den sie sich selbst ausgesucht hat, aber das kann ich nicht, verstehst du das?«
    Unwillkürlich hatte sie die Stimme gehoben, damit ihre Worte die Musik in den iPod-Stöpseln durchdrangen. Für ein paar Sekunden wur de Nerins Gesicht noch blasser, dann überzog eine flammende Röte ihre Haut. »Entschuldigen Sie bitte, Frau Doktor «, schrie sie. »Ich dachte, Sie sind anders, weißt du. Ich dachte, mit Ihnen kann man reden. Aber Sie sind genau wie alle anderen, wie diese Ärsche in den Ämtern, die so verständnisvoll tun und sagen, ja, mal sehen, was man da machen kann, ich bespreche das mit meinen Kollegen . Und das war’s dann.«
    Sie schüttelte heftig den Kopf. »Und Sie sind genau wie die, Sie haben keine Ahnung, was das heißt, in einer Familie wie meiner eine Frau zu sein. Wie die Männer einen treten, wenn man nicht gehorcht. Wie sie einen plattmachen und isolieren, bis man ganz allein ist, einsam und allein in der eigenen Familie, ja, und beinahe den Verstand verliert. Bis man anfängt zu glauben, dass man wirklich schlecht ist, eine Nutte, wie sie sagen. Bis man geduckt herumläuft, mit den Augen nach unten, und alles tun will, was sie verlangen.«
    Tränen schimmerten in ihren Wimpern, aber es waren keine Tränen des Kummers, sondern des Zorns. »Vielleicht denken Sie auch, ich bin verrückt«, etwas Speichel sprühte von ihren Lippen, »aber ich bin nur wütend. Ich bin so wütend, weißt du! Sollen die mich doch umbringen, wenn sie wollen. Ich bin hier geboren, in Deutschland, und ich will leben wie eine Deutsche. Ich bin stark, weißt du, ich habe Kraft, und ich kann mich wehren, und selbst wenn ich verliere, verliere ich nicht wirklich. Weil, je mehr sie mir tun, desto stärker werde ich, und wenn sie mich umbringen, bin ich am stärksten, und meine kleine Schwester wird von mir lernen, sie wird stolz auf mich sein! Nicht auf dich, weil du bist Scheiße, weißt du.«
    Damit kehrte sie auf dem Absatz um und lief aus dem Schatten des Torwegs in das helle Licht der Akazienstraße.
    »Ach ja, und wer hat dafür gesorgt, dass sie

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