Null-Null-Siebzig: Agent an Bord: Kriminalroman (German Edition)
in Ordnung finden. Aber wie schlimm, wenn die Frau ...«
»Unsinn«, unterbrach er sie, »abgesehen vom Altersunterschied, meine ich. Jeremy passt viel besser zu Ihrer Mutter. Eden spielt nicht in derselben Liga. Die beiden passen zusammen wie warme Milch und Weißwein. Was wissen Sie überhaupt von diesem Mann, außer dass er einen Eierkopf hat?«
Sheila legte den Kopf schief. »Nicht viel mehr als Sie. Ich habe ihn erst vor zehn Tagen kennengelernt.«
»Sie waren nicht zur Hochzeit eingeladen?«
»Nein, aber das war keine Überraschung. Von allen Hochzeiten meiner Mutter war ich nur bei einer dabei, daswar die Hochzeit mit Jeremy.« Sie legte die Fingerspitzen ihrer Hände aneinander und überlegte. »Eden ist wirklich ein netter Kerl, er ist umgänglich, höflich und unglaublich gebildet. Ich glaube, er kennt alle Dramen von Shakespeare auswendig. Er hat mit mir, als wir uns das erste Mal trafen, eine Art Wissens-Quiz gespielt und mich alles Mögliche gefragt. Es war wie bei einer Prüfung, und ich hatte das Gefühl, nur deshalb gerade mal so bestanden zu haben, weil ich ihm sympathisch bin.«
»Es zeugt weder von Höflichkeit noch von Bildung, sie bei anderen abzufragen«, bemerkte James.
»Eden war Lehrer«, sagte Sheila. »Diese Ausfragerei ist ihm wahrscheinlich in Fleisch und Blut übergegangen. Das ist übrigens etwas, das er mit meiner Mutter gemein hat. Andererseits, er ist ein derartiger Bücherwurm, das passt wieder gar nicht zu ihr. Aber vielleicht findet sie gerade das faszinierend. Ist Ihnen aufgefallen, dass er sogar beim Dinner gestern ein Buch dabeihatte?« Der kleine Jamie kam zu Sheila und krabbelte wie selbstverständlich auf ihren Schoß, um besser sehen zu können, wie die blendend weißen Yachten, die im Hafen von Nizza festgemacht hatten, immer größer wurden.
»Was uns zur wahrscheinlichsten Erklärung seines Verschwindens bringt«, sagte James. »Er hat sein Buch vergessen. Wenn er zurück in seine Kabine gegangen ist, um es zu holen, wird das mindestens eine Viertelstunde kosten.«
Sheila nickte. »Gut möglich. Ich möchte jetzt nicht in seiner Haut stecken. Der kann was erwarten, wenn er wiederkommt.«
»Ihre Mutter wird sauer sein?«
»Mutter weniger, aber Jeremy umso mehr. Er hasst Unpünktlichkeit.Als er damals meine Mutter geheiratet hat, ist sie zwei Minuten zu spät zur Trauung gekommen, das Auto stand im Stau. Er hat hinterher, als wir in kleinem Kreis beisammenstanden, gesagt, er hätte noch drei Minuten gewartet, dann wäre er gegangen. Natürlich haben alle darüber gelacht, aber ich glaube, es war ernst gemeint. Er wartet nie länger als fünf Minuten, egal, auf wen. Das war übrigens später auch der Hauptgrund für die Scheidung, meine Mutter ist chronisch unpünktlich. Nach nicht einmal zehn Wochen hat er die Scheidung eingereicht.«
» Er hat sich von ihr getrennt? Sie haben mir doch erzählt, Ihre Mutter habe es nie länger mit einem Mann ausgehalten?«
Sheila grinste. »Jeremy ist ihr zuvorgekommen. Und wie gesagt, er ist gern Herr über die Zeit. Er hätte es nie verwunden, wenn meine Mutter bestimmt hätte, wann die Ehe zu Ende ist.«
Jamie kletterte wieder von Sheilas Schoß hinunter und lief zu seinen Eltern, die in der Nähe der kleinen Kapitänskajüte standen. Sheila beobachtete die junge Familie und lächelte. »Ist Ihnen schon aufgefallen, dass der kleine Jamie seinem Urgroßvater ähnlich sieht? Merkwürdig, nicht wahr? Sein Sohn sah ihm kein bisschen ähnlich, sein Enkel ebenso wenig, und sehen Sie sich Jamie an. Er ist wie eine Miniaturausgabe von Jeremy. Es ist gut, dass sie wieder zueinander gefunden haben. Blut ist dicker als Wasser. Zwei Generationen liegt die Familie im Streit miteinander, und dann kittet ein Baby alles, was war.«
»Es gab Streit?«
Sheila nickte. »Richard hat seinen Großvater erst vor zwei Jahren kennengelernt. Jeremy hatte sich vor langer Zeit mitseinem Sohn Donald, Richards Vater, überworfen. Das war, als Donald in die Firma eintrat und mehr Entscheidungskompetenzen forderte. Darüber kam es zum Zerwürfnis, denn Donald war genauso stur wie sein Vater. Der Preis, den Donald dafür zahlte, war relative Armut, der Preis, den Jeremy dafür zahlen musste, war der Verlust seiner Familie. Als Donald später heiratete, wurde Jeremy nicht eingeladen, und ich bin überzeugt, selbst wenn er eine Einladung bekommen hätte, wäre er nicht erschienen. Als Richard geboren wurde, erhielt er eine Geburtsanzeige, das war alles.
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