Null-Null-Siebzig: Agent an Bord: Kriminalroman (German Edition)
Jeremy hat seinen einzigen Enkel nicht zu Gesicht bekommen.«
»Nun ja, irgendwann offenbar schon«, stellte James fest.
Sheila zuckte die Schultern. »Erst als Richard erwachsen war, nach der Geburt von Jamie. Der niedliche Blick dieses Babys hat die Eiszeit in der Familie beendet. Am glücklichsten darüber ist Jeremy. Obwohl er mit dem Kleinen eigentlich noch nicht viel anfangen kann. Seine Rolle als Urgroßvater wird ihm erst dann richtig gefallen, wenn Jamie im Schulalter alt ist, glaube ich. Männer wie er können mit Babys und Kleinkindern nicht gut umgehen.«
»Warum ist Jeremys Sohn nicht mit auf die Reise gekommen, jetzt, wo es zur Versöhnung gekommen ist?«
»Donald ist vor drei Monaten gestorben, er hatte Krebs.«
»Gab es diesen Donald eigentlich schon, als Jeremy und Ihre Mutter heirateten?«
Sheila nickte. »Ja, sicher, er stammte aus Jeremys erster Ehe. Meine Mutter war der Grund, warum sie geschieden wurde. Sie muss damals Mitte vierzig gewesen sein, ich war gerade nach London gezogen. Der kleine Donald war sozusagen zehn Wochen lang der Stiefsohn meiner Mutter. Ich kannte ihn flüchtig, er war ein netter Kerl.«
»Sie hatten also zwei Stiefbrüder, Donald Watts und Monty Miller, nicht wahr?«
Sheila schüttelte den Kopf. »Nein, es gibt noch mehr. Ach James, lassen wir das, es muss verwirrend für Sie sein. Die Beziehungen meiner Mutter sind schwer durchschaubar, selbst für mich. In Wales bei meinem Vater war alles klar und überschaubar, die Welt meiner Mutter ist dagegen ein Irrgarten.«
»Jeremy war der fünfte Ehemann Ihrer Mutter, richtig?«
»Sie geben nicht gern auf, oder?«
»Mit Mitte vierzig bereits die fünfte Ehe?«
Sheila nickte. »Ich hatte Ihnen doch erzählt, dass meine Mutter kein Kind von Traurigkeit war. Mit zunehmendem Alter nahm die Taktung ihrer Eheschließungen allerdings ab. Nach Jeremy war sie fünfzehn Jahre lang mehr oder weniger solo, und dann hat sie Timothy Barnes geheiratet. Er war sozusagen ihr Mann fürs Rentenalter. Ein feiner Mensch, ehemaliger Direktor der Bank of Scotland. Leider ist er schon ein knappes Jahr nach der Hochzeit gestorben. Herzinfarkt.« Sheila lachte. »Wahrscheinlich ist er an Mutters Tempo zerschellt und hat sich in der Ehe gefühlt wie eine Fliege im Ventilator.«
Sie hatten inzwischen angelegt, die ersten Passagiere gingen an Land. Sheila und James folgten ihnen.
»Warum heißt Ihre Mutter eigentlich immer noch Barnes und nicht Philpotts?«, fragte James. »Hat sie den Namen von Ehemann Nummer 7 nicht angenommen?«
Sheila sah ihn verdutzt an. »Ich dachte, eigentlich schon. Wie kommen Sie darauf?«
»Miss Kappel sprach Ihre Mutter gestern beim Dinner mit Mrs Barnes an.«
»Mag sein, dass Miss Kappel sich noch nicht an den Namenswechsel gewöhnt hat.«
»Oder Ihre Mutter hat sich auf ihre alten Tage nicht noch einmal umstellen wollen.«
»Das wäre etwas ganz Neues. Bislang hat sie ihre Namen genauso freudig gewechselt wie ihre Männer. Andererseits, Phyllis Philpotts, das klingt wie ein Sprachfehler.«
»Ganz deiner Meinung«, sagte jemand, der hinter Sheila und James über den Steg gegangen war.
Sheila drehte sich überrascht um. »Monty!«
»Entschuldige, ich wollte nicht lauschen«, sagte Sheilas Stiefbruder. »Aber das ist der Nachteil, wenn man ein Hörgerät trägt. Man kann nicht einfach weghören.«
»Muss unangenehm sein«, bemerkte James.
Monty lächelte breit. »Nun, jeder hat sein Kreuz zu tragen. Meins ist noch relativ leicht bislang.« Er klopfte drei Mal auf das Holz seines Krückstocks.
»Was macht ihr denn nach der Stadtrundfahrt?«
»Nichts Besonderes«, sagte Sheila. »James wollte mir die Altstadt zeigen.«
»Sie waren schon einmal in Nizza?«, fragte Monty interessiert.
James nickte.
»Urlaub?«
»Nein, beruflich. In den Sechzigern.«
Monty nickte. »Verstehe. Hat sich viel geändert seitdem. Wissen Sie was? Ich kenne mich sehr gut aus. Wenn Sie wollen, schließe ich mich Ihnen an. Ich weiß ein ausgezeichnetes Fischrestaurant in der Nähe des Hafens.«
»Sheila isst keinen Fisch«, sagte James.
»Dann ein Steakhaus?«
»Sheila isst auch kein Fleisch.«
»Du entschuldigst uns mal eben«, sagte Sheila zu Monty und zog James am Ärmel ein paar Schritte zur Seite. »Sheila kann auch für sich selbst sprechen, James«, flüsterte sie aufgebracht. »Und überhaupt, warum sind Sie so grob? Monty ist mein Stiefbruder.«
»Ich habe nur gesagt, dass Sie kein Fleisch und keinen Fisch
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