Null-Null-Siebzig: Agent an Bord: Kriminalroman (German Edition)
sie unwillkürlich zusammenzuckte. Und während sie ihn noch ein wenig beschämt ansah, weil sie eigentlich darauf gefasst gewesen war, dass er wegen des Abhängmanövers sauer auf sie war, hatte er bereits herausgefunden, dass sie die Waffe nicht mehr am Körper trug und sie also in ihrer Handtasche sein musste.
»Wo ist Jamie?«, flüsterte er und setzte sich neben sie. Sheila deutete in Richtung erste Reihe. Jamie gehörte zu den Kindern, die es nicht auf ihrem Platz gehalten hatte. Er streckte aufgeregt den Arm aus und schrie: »Da! Da!« Während Sheila nach vorn sah, griff James im Dunkeln nach ihrer Handtasche, die sie auf dem Boden abgestellt hatte, und nahm die Waffe wieder an sich. Auf der Bühne zappelte der Kasper ebenso aufgeregt herum wie die Kinder vor ihm. »Wo ist der Hai? Wo kann er nur sein?«, fragte er immer wieder, während er sich suchend mal in die eine, mal in die andere Richtung drehte. Der Hai war hinter Kasper und duckte sich jedes Mal, wenn Kasper sich umsah. Die Mutigen unter den Kindern versuchten nach Leibeskräftenzu helfen und brüllten laut durcheinander: »Hinter dir! Da! Da! Dreh dich um, Kasper!«, während die Ängstlichen die Hände vors Gesicht schlugen oder zur Mutter auf den Schoß flohen. »Jamie hat überhaupt keine Angst«, raunte Sheila ihm zu. Ihre Stimme klang stolz. »Sehen Sie mal, James, der Hai ist direkt vor ihm, und er denkt nicht daran zurückzuweichen.« James sah sie von der Seite an. »Ist das Ihr Ernst?« Er grinste. »Der Hai ist übrigens nicht echt, Sheila. Es ist eine Handpuppe.«
Sheila machte eine wegwerfende Handbewegung. »Für die Kinder ist er echt.«
»Wie Sie meinen. Aber nicht größer als eine Erwachsenenhand. Das dürfte selbst Jamie klar sein.«
»Davon verstehen Sie nichts.«
Eine Frau vor ihnen drehte sich um. »Können Sie das vielleicht draußen weiterdiskutieren?«
»Entschuldigung«, flüsterte Sheila. Den vorhersehbaren Rest der Aufführung verfolgten James und Sheila schweigend: Der Räuber, der den Hai freigelassen hatte, um in der allgemeinen Aufregung unbemerkt Touristen zu beklauen, wurde überführt und ins Gefängnis gebracht. Vorher bekam er allerdings tüchtig den Hintern versohlt von Kasper, dessen Holzschnitt-Grinsen jetzt geradezu diabolisch wirkte.
»Sehen Sie sich diese kleinen Bastarde an, wie sie den Kasper anfeuern«, bemerkte James. »Sie sind ganz außer sich vor Freude darüber, dass der Räuber verprügelt wird. Man muss nur ein bisschen kratzen, und wir haben einen Mob.«
Sheila sah ihn von der Seite an und zog die Augenbrauen hoch. »Ach, James. Sie bringen es fertig und verleiden einem ein harmloses Kasperletheater. Der Böse kriegt seine gerechte Strafe, das ist doch in Ordnung.«
Endlich war die Prügelei beendet, und die Kinder waren zum Klatschen übergegangen. Sheila erhob sich von ihrem Sitz und applaudierte ebenfalls. »Sehen Sie, James, und schon klatschen alle brav in ihre Patschehändchen. Der Vorhang fällt, keine Monster mehr, nur liebe Kinder. Es ist nur Kasperletheater. Machen Sie nicht alles so kompliziert.«
James erhob sich und trat näher an sie heran. »Kompliziert?«, raunte er ihr zu. »Das sagt die Richtige. Sie spazieren mit dem, was Sie mir entwendet haben, in Ihrer Handtasche herum, als wäre es« – er suchte nach einem passenden Vergleich – »irgendein Puder für Ihr Näschen.«
Sie hielt alarmiert mit dem Klatschen inne und griff nach ihrer Handtasche. »Woher wissen Sie, dass sie in meiner Handtasche ...?«
»War«, beendete James den Satz. »Versuchen Sie so etwas nie wieder.«
»Es war nur wegen Jamie. Er sollte ganz sicher bei mir sein.«
»Ohne mich nützt Ihnen das Ding gar nichts, im Gegenteil.«
»Und warum sind Sie sich da so sicher?« Ihre Stimme wurde lauter, und die Frau, die vor ihnen saß, drehte sich wieder zu ihnen um. Sheila zog James ein paar Schritte nach hinten. Vorn trat jetzt eine der Puppenspielerinnen vor die Kasperlebühne, in der Hand den Hai. »Wer traut sich, den Hai zu streicheln?«, fragte sie laut. Die meisten Kinder drängten begeistert nach vorn. »Dieser Hai tut niemandem etwas«, sagte die Puppenspielerin, um die Kinder, die zu ängstlich waren, ebenfalls zum Kommen zu ermuntern. »Und wisst ihr auch, warum?«
»Weil es ein lieber Hai ist!«, rief ein Mädchen.
»Nein«, berichtigte die Puppenspielerin, »weil es nur eine Handpuppe ist, seht ihr?« Sie nahm die Hand aus dem Hals des Hais. Sheila zog James noch weiter nach hinten.
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