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Null-Null-Siebzig: Agent an Bord: Kriminalroman (German Edition)

Null-Null-Siebzig: Agent an Bord: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Null-Null-Siebzig: Agent an Bord: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlies Ferber
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Zwischen ihren Augen waren zwei steile Falten zu sehen. »Ich kann mindestens so gut schießen wie Sie, wollen wir wetten? Mein Vater war Jäger, er hat es mir beigebracht.«
    James sah sie perplex an. »Ihr Vater war Jäger? Ich dachte, Tierarzt.«
    »Ja«, sagte Sheila ungeduldig, »beruflich war er Tierarzt. Das Jagen war natürlich nur ein Hobby, am Wochenende. Was gucken Sie mich so an?«
    James unterdrückte ein Lachen. »Nichts, reden Sie ruhig weiter.« Er wusste, dass es nicht klug sein würde anzumerken, dass Sheilas Eltern wahrscheinlich besser zusammengepasst hatten, als ihr bewusst war. Auf der Exzentriker-Skala, fand er, lag das abwechselnde Heilen und Töten von Tieren fast gleichauf mit dem Sammeln von Eheringen.
    Sheila musterte ihn misstrauisch. »Jedenfalls kann ich genauso gut schießen wie Sie.«
    Er musste lachen.
    »Dass eine Frau mit einer Waffe umgehen kann, können Sie sich natürlich nicht vorstellen.«
    »Doch, kann ich, aber ...«, er hielt inne, weil ihm klar wurde, dass diese Diskussion zu nichts führen würde und egal, was er sagen würde, es nicht dazu geeignet wäre, sie zu besänftigen. Sie war einfach sauer, weil er die Waffe wieder an sich genommen hatte. Er schaute auf die Uhr. »Das Konzert ist bald zu Ende, wir sollten Jamie zu seinen Eltern zurückbringen.«
    Sheila beobachtete, wie sich die Kindertraube vor der Bühne allmählich auflöste. »Oh Gott, wo steckt Jamie? Ich kann ihn nicht sehen.« Ihre Stimme klang dünn. James erfasste mit einem Blick, dass Sheila recht hatte.
    »Wahrscheinlich ist er unbemerkt an uns vorbei nach draußen gegangen«, versuchte er, sie zu beruhigen. Doch Sheila sah ihn panisch an, der Gedanke, dass das Kind nicht mehr da war, hatte sie wie ein Fausthieb getroffen.
    »Oh mein Gott!« Sie stürzte nach draußen, James eilte ihr nach. Vor der Tür riefen sie nach Jamie, dann sprach Sheila hektisch alle Erwachsenen an, die sich vor dem Kino aufhielten. James versuchte sich zu erinnern, ob Jamie zu den Kindern gehört hatte, die nach vorn gegangen waren, um den Hai zu streicheln. Er meinte, seinen Rotschopf vor der Bühne gesehen zu haben, war sich aber nicht sicher.
    »Bleiben Sie hier«, befahl er. »Falls Jamie schon vorgelaufen ist und merkt, dass wir nicht bei ihm sind, wird er wahrscheinlich zurückkommen und uns hier suchen. Dann ist es gut, wenn Sie hier sind. Ich werde ihn suchen.« Sheila reagierte nicht. Sie war leichenblass, und ihr Blick blieb hohl auf einen Punkt in der Ferne gerichtet. Auch das noch, dachte er, sie wird gleich ohnmächtig. Er legte einen Arm um ihre Taille und führte sie zu einer Ansammlung von Sitzwürfeln in der Nähe. Sie leistete keinen Widerstand, ihre Beine trugen sie kaum noch. James bettete sie auf zwei nebeneinander liegende Würfel, streifte ihr die Schuhe von den Füßen und hielt ihre Beine hoch, damit das Gehirn wieder durchblutet wurde. »Ganz ruhig. Es wird alles gut.« Er sah zum Eingang des Kinos, durch den die letzten kleinen Besucher an der Hand ihrer Eltern nach draußen strömten. Kein Jamie. Hinter dem letzten Kind schloss eine jungeFrau, wahrscheinlich eine der beiden Puppenspielerinnen, das Kino ab. Als sie James’ Blick bemerkte, eilte sie herbei.
    »Soll ich einen Arzt rufen?«
    »Nein, es geht schon«, gab Sheila matt zurück. »Wir suchen einen kleinen Jungen«, sagte James. »Wir waren mit ihm in der Vorstellung, und hinterher war er plötzlich weg. Zweieinhalb, mit roten Haaren.«
    Die Animateurin nickte. »Ja, ich kann mich erinnern, er saß ganz vorn.«
    »Haben Sie gesehen, ob er nach draußen gelaufen ist?«, fragte Sheila. Es war mehr ein Flehen als eine Frage. Doch die Animateurin schüttelte bedauernd den Kopf.
    »Nein, tut mir leid.« Sie beugte sich zu Sheila hinunter und streichelte teilnahmsvoll ihre Hände, die kraftlos auf ihrem Bauch lagen. »Aber machen Sie sich keine Sorgen, der taucht schon wieder auf. Früher oder später wird so ein Kleinkind immer irgendwo abgegeben, wie Treibholz, das an Land gespült wird.« Die Animateurin nickte Sheila mit dem naiven Optimismus eines jungen Menschen zu, der noch nichts wirklich Schlimmes erlebt hat. Sie tätschelte Sheila abschließend die Hände und ging zum Kletterlabyrinth, um die Kinder, die dort bereits mit ihren Eltern warteten, hereinzulassen.
    James fluchte leise. Dieser kleine, hirnlose, undankbare, unberechenbare Bastard. Warum konnte er nicht einfach nach der Vorstellung zu Sheila kommen? War das denn zu viel

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