Null-Null-Siebzig: Agent an Bord: Kriminalroman (German Edition)
ins Wasser stürzen und auch da nur im vorderen und hinteren Bereich.«
»Und von den Balkonen der tiefer gelegenen Decks«, wandte James ein. »Ich wohne auf Deck 7, und es wäre kein Problem, von dort ins Wasser zu springen. Oder jemanden über Bord zu werfen.«
»Ja, aber Sie gehen doch davon aus, dass jemand spontan Leute über Bord wirft. Die Balkonkabinen auf Deck 6 und 7 sind aber nicht öffentlich zugänglich. Ein bisschen kompliziert für Ihren Mörder, erst mal anzuklopfen und sich Einlass zu verschaffen, oder?«
»Vielleicht ist der Mörder ja weniger spontan, als ich dachte«, überlegte James. »Die wenigsten Morde geschehen aus reiner Mordlust. Vielleicht steckt doch ein Plan dahinter.«
Der Offizier schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht an Ihre Theorie, Mr Gerald. Es wird ein Unfall gewesen sein.«
»Stellen Sie bitte heute Nacht trotzdem ein paar Leute zur Sicherheit auf Deck 10 ab«, sagte James. »Und noch etwas: Zeigen Sie mir bitte die Passagierliste dieser und der letzten Fahrt. Ich will vergleichen, ob einer oder mehrere Passagiere beide Fahrten mitgemacht haben.«
Der Körper des Ersten Offiziers straffte sich. »Sie gebenhier die Kommandos, als wären Sie weisungsbefugt. Bei allem Verständnis für Ihre Sorge um Ihre Mitreisenden, aber Sie gehören weder zur Besatzung noch sind Sie ein Polizist oder so etwas.«
James wurde lauter. »Sie wollen sich doch nicht ernsthaft hinter solchen Argumenten verstecken, um sich aus der Verantwortung zu stehlen!« Er hielt dem anderen das Foto der Leiche vor Augen. »Wollen Sie etwa, dass wegen Ihnen noch weitere Menschen so grausam umkommen?«
Ross Abbot zog widerstrebend sein Handy aus der Tasche seines Jacketts. »Ich rufe den Kapitän an, das ist eine Entscheidung, die er treffen muss.«
»Tun Sie das.«
Der Erste Offizier gab eine Kurzwahlnummer ein. Als der Kapitän sich meldete, entfernte er sich ein paar Schritte, sodass James nicht mitbekam, was er sagte.
»Er kommt gleich nach dem Dessert«, informierte er James, nachdem das kurze Gespräch beendet war.
»Das dauert zu lange. Haben Sie ihm denn nicht von der Leiche berichtet?«
»Doch, ja.« Der Erste Offizier zuckte die Schultern. James überlegte, ob er mehr Druck machen sollte, verwarf den Gedanken jedoch wieder. Er wusste, dass der Versuch, gegen ein hierarchisch strukturiertes Ganzes Sturm zu laufen, in etwa so erfolgversprechend war, wie der, eine Betonwand einzurennen. Besser war eine kleine Ladung Dynamit an der richtigen Stelle. Und diese Stelle war Jeremy. Mit der angespülten Leiche hatte sich die Sachlage geändert. Jetzt musste Jeremy handeln, ob er wollte oder nicht.
James verabschiedete sich von Ross Abbot. Der Erste Offizier lächelte und hob die rechte Hand, um James beschwichtigendauf die Schulter zu klopfen. Doch James’ Blick gebot ihm Einhalt. Und während der Arm des Offiziers verloren in der Luft schwebte, hatte James sich bereits umgedreht und die Kommandobrücke ohne ein weiteres Wort verlassen.
Kapitel 21
Sheila bemerkte seine Rückkehr als Erste und schaute ihn fragend an. Doch James nickte ihr nur kurz zu und ging zu Jeremy. »Ich muss Sie unter vier Augen sprechen«, sagte er leise. »Dringend.«
»Was ist passiert?«, fragte Jeremy, als sie draußen vor der Tür zum Captain’s Corner standen. »Sie machen ein Gesicht, als wäre der Dritte Weltkrieg ausgebrochen.«
»Edens Leiche ist an der ligurischen Küste angespült worden«, sagte James ohne Umschweife.
Jeremy starrte ihn an, und James konnte sehen, wie die Farbe aus seinem Gesicht schwand. »Nein«, brachte er schließlich hervor.
»Ich habe es gerade vom Ersten Offizier erfahren. Ein männlicher Torso.«
»Woher wollen Sie wissen, dass es Eden war? Und dass die Leiche von hier kommt. Vielleicht ein Badeunfall.«
»Die Strömung deutet darauf hin, dass es sich um einen Mann von der Victory handelt. Außerdem war die Leiche bekleidet, inklusive Schuh.«
»Schuh?«
»Ein schwarzer Herrenschuh. Den anderen haben die Haie gefressen. Das rechte Bein fehlt. Und beide Arme. Wie gesagt, ein Torso.«
Jeremy starrte auf einen unbestimmten Punkt in der Ferne, bemüht, das Gehörte zu verarbeiten.
»Hören Sie, Jeremy, Sie müssen jetzt handeln«, drängte James. »Sagen Sie dem Kapitän, er soll die Passagiere warnen.«
»Nein, das ist unmöglich.« Jeremy löste sich aus seiner Erstarrung. Er sah James an, in seinen Zügen spiegelten sich plötzlich nicht mehr Stolz und Selbstsicherheit,
Weitere Kostenlose Bücher