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Null-Null-Siebzig: Agent an Bord: Kriminalroman (German Edition)

Null-Null-Siebzig: Agent an Bord: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Null-Null-Siebzig: Agent an Bord: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlies Ferber
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anzusehen, und verließ wortlos den Raum. Während James ihr mit eiligen Schritten folgte, hörte er noch, wie Phyllis die anderen fragte: »Aber ihr bleibt doch, oder?«, gefolgt von zustimmendem Gemurmel.
    Sheila musste gerannt sein, denn erst kurz vor den Aufzügen holte er sie ein.
    »Mir ist die Lust vergangen«, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen, als sie in den Aufzug getreten waren. Die verspiegelten Türen schlossen sich, sie waren allein.
    »Ja«, sagte James, »das wurde deutlich.«
    Sheila drehte sich zu ihm um. »Sie hat noch nicht mal ein schlechtes Gewissen. Das ist doch nicht normal!«
    Der Aufzug war auf Deck 7 angekommen. Sheila schimpfte weiter über ihre Mutter, während James ihr über den Flur folgte und wieder einmal feststellte, dass Sheilas Gemütsverfassung allein an der Art, wie sie die Füße aufsetzte, sehr gut abzulesen war. Was andererseits gar nicht nötig war, denn sie schimpfte laut wie ein Rohrspatz. An der Tür zu ihrer Kabine blieb sie stehen und regte sich weiter auf. James setzte sein professionelles Zuhörergesicht auf, nickte hin und wieder verständnisvoll und ließ sie reden. Selbst wenn er gewollt hätte, er hätte nicht gewusst, was er sagen sollte. Er war kein Experte in Sachen Eltern-Kind-Beziehung, seine Eltern waren bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als er dreizehn war. Doch soweit er das beurteilen konnte, hatte Sheila ja nicht ganz unrecht mit ihrer Schimpferei, und seiner Einschätzung nach waren Worte wie »Rabenmutter«, »vergnügungssüchtig« und »verantwortungslos« nicht völlig aus der Luft gegriffen. Während er sie reden ließ, stellte er überrascht fest, dass er ein wenig neidisch auf Phyllis war, die eine solche Wucht an Gefühlen bei Sheila auslösen konnte.
    Plötzlich hielt Sheila mitten im Satz inne und sah James an. »Sie sagen gar nichts.«
    Er öffnete die Tür zu seiner Kabine und setzte sein charmantestes Lächeln auf. Er war sich sehr wohl bewusst, dass der kleinste Versuch, mit einer Nadel in diesen Ballon der Wut zu stechen, gefährlich sein konnte. Wenn es nicht klappte, würde er selbst in die Schusslinie geraten. »Gehen wir auf unseren Balkon und besprechen das Ganze in Ruhe bei einem Gläschen Eierlikör.«
    Einen Moment sah sie ihn stumm an, die steilen Falten immer noch zwischen den Augen. Doch dann musste sie grinsen. »Seit wann stehen Sie auf Eierlikör, Null-Null-Siebzig? Ist das nicht ein bisschen schwul?«
    Er hielt ihr galant die Tür auf. »Ich nehme es als Kompliment, dass Sie sich Gedanken über meine sexuelle Orientierung machen. Mein Arzt predigt mir schon seit Langem, ich solle mehr Vitamine zu mir nehmen. Eier sind reich an Vitamin B, das stärkt die Nerven. Täte Ihnen auch gut.«
    »Eier sind schlecht für den Cholesterinspiegel. Was macht denn Ihrer?«, fragte Sheila über die Schulter, während sie vor ihm durch die Kabine ging und die Tür zum Balkon öffnete.
    »Keine Ahnung«, gab James zurück. »Interessiert mich auch nicht.«
    Sheila machte es sich auf einem der Deckchairs bequem. »Sollte es aber.«
    James zuckte die Schultern. »Ich habe da einen Deal mit meinem Körper. Wenn ihm etwas fehlt, meldet er sich. Ansonsten genießen wir beide das Leben.« James wählte die Nummer des Zimmerservice und orderte zwei Eierlikör auf Eis. Als er sich neben Sheila setzte, stellte er zufrieden fest, dass ihre Wut verraucht war.
    »Sie gehen zu nachlässig mit Ihrer Gesundheit um, James«, sagte sie.
    Er zündete sich eine Zigarette an. »Seien Sie froh, dass Sie noch eine Mutter haben. Die meisten Menschen haben keine mehr in unserem Alter.«
    Sheila nahm ihm die Zigarette aus der Hand und schnippte sie über die Reling. »Sie haben jetzt nicht wirklich Eierlikör bestellt, oder?«
    »Sehen Sie es als symbolische Versöhnung mit Ihrer Mutter.«
    »Versöhnen kann man sich nur mit jemandem, der sich versöhnen will. Dafür müsste meine Mutter aber erst mal einsehen, dass sie eine Gefahr für die Allgemeinheit ist.« Sheila pustete sich aufgebracht eine Locke aus der Stirn.
    »Seien Sie nicht zu hart, sie hat halt ihre Macken. Ich schätze, wenn man fast neunzig ist, ist das normal, oder?«
    »Sie war schon immer so.«
    »Sie hat Ihnen als Kind wirklich Eierlikör gegeben?«
    »Nicht nur Eierlikör. Ich kann froh sein, dass ich meine Kindheit überlebt habe. Als ich vier war, hat sie mich auf einen Schlitten gesetzt und einfach den Berg runtergeschubst. Ich weiß noch, dass sie Tränen gelacht hat, als ich

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