Null-Null-Siebzig: Agent an Bord: Kriminalroman (German Edition)
falschen Spur ist, fällt es schwer, davon abzuweichen, nicht wahr? Eine falsche Spur ist wie ein Magnet, der alle Informationen auf sich zieht, und wenn sie noch so sehr in eine andere Richtung weisen.«
Sheila sah ihn verstimmt an. »Und was heißt das jetzt?«
»Die meisten Menschen neigen dazu, das, was sie sehen, den Informationen zuzuordnen, die sie schon haben, statt jede Information einzeln zu bewerten und möglicherweise infrage zu stellen. Mr Chandan ist kein Inder, sondern Chinese. Wir haben uns in seiner Muttersprache unterhalten.«
»Chinese? Muss ich das verstehen?« Sheila schüttelte den Kopf. »Na ja, ist ja auch nicht so wichtig. Aber die Frage bleibt: Warum haben Sie in eine andere Sprache gewechselt? Was sollten wir nicht mitbekommen?«
»Es geht um Ihre Mutter. Sie braucht nicht alles zu wissen, das regt sie nur auf«, erklärte James. »Momentan bin ich froh, dass sie nicht an eine Gefahr glaubt. Besser, sie ist sauer auf uns, weil sie glaubt, wir machen ihr etwas vor, als dass sie einen Tag vor ihrem neunzigsten Geburtstag einen Herzinfarkt erleidet.«
»Jetzt reden Sie schon genau wie Jeremy«, seufzte Sheila. »Sie behandeln sie wie ein unmündiges Kind.«
James blieb stehen. »Darüber regen Sie sich aber jetzt nicht allen Ernstes auf, oder? Wer hat sich denn eben noch beschwert, er sei sich mit zehn Jahren schon erwachsener vorgekommen als seine Mutter?«
»Ist ja gut«, lenkte Sheila ein. Sie zog ihn weiter. »Aber warum wollen Sie sich die Daten der Angestellten anschauen? Denken Sie, es war einer von ihnen?«
»Mir geht dieser Mann mit dem Ankündigungsschild für das Kasperletheater nicht aus dem Kopf. Ich habe ihn heute Nachmittag gesehen, als ich Sie und Jamie auf dem Weg zum Kasperletheater verfolgt habe. Ein Schiffsangestellter. Dunkler Typ, Nordafrikaner vermutlich. Ich bin mir sicher, dass ich ihn schon gesehen habe, aber ich kann mich partout nicht mehr erinnern, wo und in welchem Zusammenhang es war. Vielleicht fällt es mir wieder ein, wenn ich das Foto sehe, ansonsten können wir über die Dienstpläne feststellen, wo wir ihn finden, und ihn uns genauer anschauen.«»Ich glaube, das ist er«, sagte James wenig später beim Durchscrollen der Datenbank. Die Informationen unter dem Foto wiesen den Mann als Larbi Lachoubi aus, dreiundvierzig Jahre alt und seit zehn Jahren als allgemeine Servicekraft mit Schwerpunkt Außengastronomie im Dienst der Victory. James sah Sheila an. »Und jetzt weiß ich auch wieder, wo ich ihn zum ersten Mal gesehen habe!«
»Das ist wer?«, fragte Phyllis interessiert.
»Der Mann, den ich in Begleitung von Miss Kappel gesehen habe«, sagte James.
»Wann?«, fragten Sheila und ihre Mutter gleichzeitig.
»In Nizza«, erklärte James. »Ich bin nicht gleich darauf gekommen, weil er da keine Schiffsuniform trug, sondern in Freizeitkleidung unterwegs war. Ich hatte Ihnen ja davon erzählt, Sheila. Als wir in Nizza vor diesem kleinen Fischrestaurant saßen. Kurz bevor wir Eden entdeckten, sah ich Judy Kappel vorbeikommen. Sie war in Begleitung eines Mannes, der nicht zu unserer Geburtstagsgesellschaft gehörte. Damals hielt ich es für unwichtig und habe mir weiter keine Gedanken darüber gemacht. Es schien wie eine Zufallsbekanntschaft, am Hafen lungern ja immer einige Männer herum, die versuchen, mit Touristinnen anzubandeln.« James drehte sich zum Kapitän, der ihm bei der Recherche über die Schulter geschaut hatte. »Können Sie diesen Mann bitte kommen lassen? Sagen Sie ihm aber vorerst nicht, worum es geht.«
Der Kapitän sah im Dienstplan nach, wo Lachoubi gerade arbeitete, und beauftragte einen Mitarbeiter, ihn zu holen. »Beeilen Sie sich bitte!«, rief James dem Mann nach.
Phyllis hatte die ganze Zeit auf ihrem Handy herumgetippt. Jetzt legte sie es auf den Schoß. »Ich habe Jeremyeine SMS geschickt«, erklärte sie. »Wenn er schon nicht ans Telefon geht, reagiert er vielleicht darauf.« Sie drehte ihren Rollstuhl in James’ Richtung. »Was haben Sie mit dem Mann vor, James? Wollen Sie ihn ausquetschen wie eine Zitrone, ihm die Daumenschrauben anlegen, bis er gesteht, was er mit Eden und Judy gemacht hat?« Sie rollte etwas näher und senkte ihre Stimme, damit der Kapitän nicht mithören konnte. »Sie haben bestimmt Ihre Methoden, und ich halte mich da raus, aber Sie sollten das nicht in der Öffentlichkeit machen. Sie können dazu meine Kabine benutzen, da bekommt außer uns niemand etwas mit!«
James sah Phyllis ungläubig
Weitere Kostenlose Bücher