Null-Null-Siebzig - Operation Eaglehurst
»Ein unglaublicher Abend war das, wunderschön. Eleonora ist etwas ganz Besonderes. Diese Augen! Sie hat eine so freundliche und aufmerksame Art, einem zuzuhören. Hätten Sie gedacht, dass sie schon fünfundsiebzig ist?« Er lachte. »Ich habe sie heute nach dem Rezept für ihre Jugendlichkeit gefragt.«
»Und?«, fragte James. »Das würde mich auch interessieren!«
»Hat sie mir nicht verraten.« Peabody hob wie zur Bekräftigung das Glas. »Aber ich bleibe dran, versprochen!«
James gähnte. »Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, Julius, aber ich bin todmüde.«
»Ja, Sie haben recht«, rief Peabody, »lassen Sie uns gehen!« Er nahm noch einen Schluck, dann rutschte er vom Barhocker, wollte sich auf James’ Rollator abstützen, verfehlte ihn knapp und lag einen Augenblick später mit abgewinkelten Beinen auf dem Boden. James stupste ihn mit dem Fuß an.
»Julius? Geht es Ihnen gut?«
Peabody antwortete nicht, er hatte die Augen geschlossen und gab nur ein leises Schnauben von sich.
»Ach du liebe Güte«, murmelte James, »das fehlte gerade noch.« Er bückte sich zu Peabody hinunter und fühlte seinen Puls. Dann wählte er die Nummer des Schwesternzimmers. »Miss Hunt, würden Sie bitte in den Salon kommen? Mr Peabody ist gestürzt und kann nicht mehr aufstehen.«
Jetzt musste er schnell sein. Er schätzte, dass Miss Hunt etwa drei Minuten brauchen würde. Er bewegte sich zum hinteren Bereich des Salons, wo der Flügel stand, stellte die Delfter Vase mit den künstlichen Blumen in den Drahtkorb seines Rollators und zog die rote Samtdecke vom Flügel. Dann versuchte er, den Deckel anzuheben. Verflucht, war der schwer. Was bin ich nur für ein Schwächling geworden, dachte er erbittert, als er die Decke wieder über den Flügel legte und die Vase an ihren Platz zurückstellte. Er würde Sheilas Hilfe in Anspruch nehmen müssen.
Plötzlich hörte er leise Schritte. Schnell duckte sich James hinter dem Flügel. Das konnte noch nicht Miss Hunt sein. Sie hätte sich keine Mühe gegeben, leise zu sein, und hätte mit Sicherheit Licht im Flur gemacht. James spähte vorsichtig hinter dem Flügel hervor und sah einen Schatten in der Tür. Wer immer das war, er würde ihn nicht entdecken, denn in seinem Teil des Salons war es dunkel. Da ertönte das »Pling« des Aufzugs, der im Erdgeschoss hielt. Quietschende Gesundheitssandalen kündigten Miss Hunt an. Der Schatten verschwand. Sekunden später wurde es unangenehm hell. Miss Hunt hatte das Licht angeknipst. Beim Umbau zum Altenheim hatte man aus Kostengründen die Kristallleuchter durch Neonröhren ersetzt.
»Ich glaube, ich rufe besser Dr. Goat«, sagte Miss Hunt, nachdem sie eine Weile erfolglos versucht hatte, Julius Peabody zu wecken. »Vielleicht hat er innere Verletzungen.«
»Meinen Sie, das ist eine gute Idee?«, fragte James. »Warum rufen Sie nicht lieber einen Krankenwagen? Dr. Goat wird alles andere als erfreut sein, wenn Sie ihn um diese Uhrzeit aus dem Bett klingeln.«
»Wenn ich den Krankenwagen rufe, kassieren die Mr Peabody gleich ein«, entgegnete Miss Hunt, zog ihr Handy hervor und gab eine Kurzwahlnummer ein. »Außerdem: Dr. Goat ist schneller hier als jeder Krankenwagen.«
Und wirklich, kaum fünf Minuten später kniete Dr. Goat neben dem Schlafenden, als hätte er auf den Anruf gewartet.
»Wie ist das passiert?«, fragte er, während er Mr Peabodys Augenlider hochschob und die Pupillenreflexe überprüfte. Mr Peabody gab ein Grunzen von sich.
»Als er vom Barhocker stieg, ist er hingefallen«, erklärte James.
»Alkohol«, stellte Dr. Goat schnüffelnd fest.
James deutete auf die leere Flasche. »Smirnoff.«
»Hat er die etwa ganz allein getrunken?«
»Nun ja«, sagte James, »zwei oder drei Gläser gehen auf mich.«
Dr. Goat schüttelte den Kopf, sagte aber nichts weiter dazu und knetete Mr Peabodys Gesicht. »MR PEABODY, HÖREN SIE MICH?«
Mr Peabody zwinkerte mit den Augen, schmatzte und sagte: »Entzückend.« Dann drehte er sich auf die andere Seite und begann zu schnarchen.
Dr. Goat kramte in seiner Tasche, holte ein kleines braunes Fläschchen heraus und schüttete vorsichtig ein paar weiße Kügelchen in seine Handfläche. »Er ist vollkommen betrunken«, stellte er fest, während er sich über Mr Peabody beugte, an dessen Unterlippe zog und die Kügelchen zwischen Unterlippe und Zahnfleisch rieseln ließ. »Aber er hat Glück gehabt, er wirdmorgen allenfalls ein paar blaue Flecken vom Sturz an
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