Null-Null-Siebzig - Operation Eaglehurst
attraktive, junge Miss Hunt.
»Waren Sie eigentlich verheiratet?«, fragte er unvermittelt.
Edith schüttelte den Kopf. Es war offensichtlich, dass ihr die Frage unangenehm war und sie nicht über dieses Thema sprechen wollte.
»Ich auch nicht«, sagte James. »Die Ehe wird überbewertet, nicht wahr?«
Edith sah zur Tür. »Da ist meine Schwester.« Sie erhob sich. »Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, James.«
Kurz nachdem Edith den Salon verlassen hatte, kam Sheila, die Wangen gerötet vom Wind. Er konnte es kaum erwarten, ihr das Fläschchen zu präsentieren. Dass Ruthersford ihm nicht glaubte, kümmerte ihn wenig, aber darüber, dass Sheila ihm anfangs nicht ganz ernst genommen hatte, ärgerte er sich immer noch.
»Kommen Sie«, sagte er zu Sheila, »gehen wir nach draußen. Ich muss Ihnen etwas zeigen.«
Sie überquerten die belebte Straße und erreichten die Promenade, wo sie sich auf eine Bank mit Blick aufs Meer setzten. Ein frischer Wind zerzauste ihnen die Haare, doch wenigstens hatte es aufgehört zu regnen, und von Zeit zu Zeit schien die Sonne durch vereinzelte Lücken in der Wolkendecke. James zog das Fläschchen aus seiner Manteltasche. »Das habe ich gerade in einem Geheimversteck des Flügels im Salon gefunden«, erklärte er, schraubte den Deckel auf und sah hinein. Weiße Kügelchen bedeckten den Glasboden.
»Was ist das?«, fragte Sheila.
»Sehen Sie selbst.« James reichte ihr das Fläschchen.
»Nux Vomica. Brechnuss, homöopathische Potenz. Nützt, wenn man dran glaubt, schadet aber auch nicht.«
James nahm ihr das Fläschchen wieder ab. »Warum sollte William das im Klavier verstecken, wenn es harmlose homöopathische Kügelchen sind?«
»Keine Ahnung. Vielleicht wollte er es einfach griffbereit haben. Geben Sie her, ich probiere mal eins!«
»Sind Sie noch ganz bei Trost, Sheila?« James ärgerte sich über ihre Naivität. Offensichtlich glaubte sie immer noch, er habe sich die ganze Geschichte nur eingebildet. »Bitte, wie Sie wollen. Aber beschweren Sie sich hinterher nicht.«
Sheila schüttete tatsächlich ein paar Kügelchen in ihre Handfläche. »Glauben Sie mir, ich kenne mich da aus. Meine Mutter hatte früher einen Homöopathie-Tick. Nux Vomica in dieser Potenz ist nun wirklich völlig harmlos.«
»Warten Sie einen Moment«, sagte James, klaubte ihr schnell mit Daumen und Zeigefinger die Kügelchen aus der Hand und nahm das Fläschchen wieder an sich. Dann ging er zu einem Kiosk, kaufte einen Muffin und kam zurück.
»Was haben Sie vor?«, fragte Sheila.
Wortlos stopfte James die Kügelchen tief in das Gebäckstück. Dann warf er den Muffin ein paar Meter weit weg. Sofort kämpfte ein aufgeregt kreischender Möwenschwarm darum.
»Was tun Sie denn! Die armen Vögel!«, protestierte Sheila.
»Gerade wollten Sie das Zeug noch selber probieren«, sagte James und behielt die Möwen im Auge, die, auf weitere Leckerbissen hoffend, vor ihnen herumpickten.
»Es passiert doch gar nichts, wenn Sie recht haben und das Zeug wirklich harmlos ist.«
»Und wenn nicht?«, fragte Sheila. »Wenn Sie überzeugt sind,dass es Gift ist, warum haben Sie mir das nicht einfach gesagt? Was soll diese Nummer mit dem Tierversuch?«
»Ich
habe
es Ihnen doch gesagt. Aber Sie sind ja so unglaublich dickköpfig«, schnauzte James zurück. »Sie glauben mir einfach nicht und wollten die Dinger doch nur schlucken, um mir zu beweisen, dass Sie recht haben. Geben Sie es ruhig zu, Sie halten meine Theorie für das Hirngespinst eines alten Mannes.«
»Wenn hier einer ein Dickkopf ist, dann sind Sie das«, sagte Sheila, nun auch recht laut werdend. »Sie machen hier alle verrückt.«
»Wenn ich alle nur verrückt mache, warum regen Sie sich dann so darüber auf, dass ich die Möwen füttere?«
»Der Punkt ist: Sie glauben, dass es Gift ist, und füttern damit die Möwen. Ein Möwenleben bedeutet Ihnen nichts.«
Er sah sie eindringlich an. »
Ihr
Leben bedeutet mir etwas, Sheila. Ich wollte Sie davon abhalten, eine Dummheit zu begehen.«
Sheila starrte ihn zornig an. »Oh, mein Held«, sagte sie gedehnt. »Warum haben Sie mich nicht vor einer viel größeren Dummheit bewahrt? Es war eine riesengroße Dummheit, überhaupt hierherzukommen.«
»Ich habe Sie nicht darum gebeten.«
Ein kleiner Junge strampelte auf seinem Dreirad heran. Er bemerkte James und Sheila nicht und steuerte direkt auf den Möwenschwarm zu, der immer noch auf dem Pflaster herumpickte. Als das Dreirad eine Schneise in den
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