Null-Null-Siebzig - Operation Eaglehurst
etwas: ein kleines braunes Fläschchen. James steckte es schnell ein und wollte gerade den Tastaturdeckel wieder in Position bringen, als ihn eine Hand sanft an der Schulter berührte. »Nehmen Sie den Flügel auseinander, James?«
James drehte sich lächelnd zu Edith um. »Ich wollte nur nachsehen, wo die falschen Töne herkommen. Irgendwo müssen sich die frechen kleinen Dinger doch versteckt halten.«
»Wenn der Bauer nicht schwimmen kann, liegt’s an der Badehose«, sagte Edith trocken. »Aber Sie sind zu bescheiden, James. Sie haben sehr schön gespielt. Ich wünschte, ich könnte so gut Klavier spielen.«
»Sie wollten doch den Basar der St.-Andrews-Gemeinde besuchen. War da nichts los?«, fragte James.
Edith verdrehte die Augen. »Von wegen, wir waren noch gar nicht dort. Meine Schwester zieht sich gerade um, sie hat sich beim Frühstück bekleckert. Aber ich glaube, das ist nur eine Ausrede, in Wirklichkeit wollte sie auf Mr Peabody warten.«
»Oh«, sagte James, »da können Sie lange warten. Kurz nachdem Sie gegangen sind, kam Mr Peabody zum Frühstück, und als ich ihm sagte, dass Sie bereits auf dem Weg zum Gemeindebasar sind, war er nicht mehr aufzuhalten.«
»Geschieht Eleonora ganz recht«, sagte Edith. »Sie führt sich auf wie ein Backfisch. Na, ich sage immer, jeder legt seinen Wert selbst fest.«
»Spielen Sie auch ein Instrument, Edith?«, fragte James.
»Leider nicht. Für mehr als den Kirchenchor hat es bei mir nicht gereicht.«
»Die menschliche Stimme – das schönste Instrument der Welt, nicht wahr?«, erwiderte James galant.
Edith lachte, und James bemerkte, dass sie zu den Menschen gehörte, die beim Lachen gewannen. »Sie haben mich noch nicht singen hören, Mr Gerald!«
»Es käme auf einen Versuch an, meinen Sie nicht auch?« James legte die Finger auf die Tastatur und spielte leise und nicht ganz korrekt die ersten Takte von
Should Old Acquaintance be forgot
. »Wollen wir?«
Edith schüttelte entschieden den Kopf. »Ich kenne meine Grenzen.«
James erhob sich. »Kommen Sie, dort drüben am Fenster ist noch eine Sitzecke frei.«
Edith sah zögernd auf ihre Armbanduhr. »Meine Schwester müsste jeden Augenblick hier sein.«
»Das trifft sich gut, ich warte nämlich auch auf jemanden, der jeden Augenblick kommen müsste.«
»Ihre Bekannte von gestern Abend?« Edith sah ihn durch ihre Hornissenbrille neugierig an. Er nickte nur.
Als sie Platz genommen hatten, kam der Pfleger, den James am Vorabend kennengelernt hatte, an ihren Tisch und erkundigte sich, ob er ihnen etwas bringen könnte.
»Das muss man wirklich sagen«, bemerkte Edith, als er wieder gegangen war, »sie bieten einen ausgezeichneten Service in Eaglehurst. Man fühlt sich beinahe wie in einem Hotel.«
James fragte sich, ob Edith wohl schon einmal in einem Hotel übernachtet hatte, das diesen Namen verdiente. »Nicht wahr«, pflichtete er bei, »ein wunderbarer Ort, um seinen Lebensabend zu verbringen.«
Edith nickte. »Ich liebe das Meer, Sie auch?«
»Sehr«, log James.
»Als klar war, dass Eleonora und ich uns gemeinsam etwas suchen«, fuhr Edith lebhaft fort, »habe ich stapelweise Prospekte durchgesehen und mir mehr als zwanzig Einrichtungen angesehen. Oft hieß es im Prospekt ›direkt am Meer‹, aber dann stellte sich heraus, dass das Altenheim auf einer einsamen Klippe stand und man zu Fuß weder zum Meer kam noch in irgendeine Stadt oder ein Dorf. Aber als ich Eaglehurst gesehen habe, dachte ich bei mir: Das wäre zu schön, um wahr zu sein. Direkt am Meer, mit Promenade, die Innenstadt gleich um die Ecke. Mitten im Leben und nicht abgeschoben in die Einsamkeit. Und es sieht nicht aus wie ein Altenheim, sondern wie ein richtiges Hotel.«
»Das beste am Platz«, bemerkte James.
»Ja, genau. Wissen Sie, was das Einzige ist, das ich ärgerlich finde?«
»Nein, was denn?«
»Das Rauchverbot. Sogar im eigenen Zimmer ist das Rauchen verboten. Das ist erniedrigend.«
»Ach«, sagte James. »Das wusste ich nicht. Ich rauche in meinem Zimmer, aber Miss Hunt hat nichts gesagt.« Mit Unbehagen dachte er an die vergangene Nacht, als er beinahe einen Zimmerbrand ausgelöst und Miss Hunt sich sehr wohl darüber aufgeregt hatte.
»Diese Blondine hat ein großes Herz für die männlichen Bewohner«, sagte Edith verächtlich. »Mit Frauen geht sie nicht so charmant um.«
James betrachtete Edith nachdenklich und fragte sich, ob sie damit recht hatte oder ob Edith ganz einfach neidisch war auf die
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