Null-Null-Siebzig - Operation Eaglehurst
weit würde ich nicht gehen. Einfach gute Kollegen.«
Sheila kam zurück. Sie hatte ihre Leidensmine abgelegt.
»Alles in Ordnung?«, erkundigte sich Mrs White.
»Bestens, danke.« Sheila wirkte erleichtert.
Mrs White schenkte ihr eine Tasse Tee ein. »Dann schießen Sie los. Was wollen Sie wissen? Oder soll ich einfach anfangen und Ihnen etwas über Eaglehurst erzählen?«
Sheila nahm die Tasse entgegen und lehnte sich entspannt zurück. »Ja, das wäre wunderbar!«
Mrs White nickte erfreut. Man merkte, Eaglehurst war ihr Lieblingsthema. Sie holte weit aus, schilderte ihren eigenen Werdegang von der Altenpflegerin zur Leiterin eines städtischen Altenheims und wie sie durch eine Erbschaft die Chance bekommen hatte, ein privates Seniorenheim nach ihren eigenen Vorstellungen aufzubauen. Sie erzählte von den schwierigen Verkaufsverhandlungen mit der Stadtverwaltung von Hastings, die ihr das heruntergekommene, aber denkmalgeschützte »Empire« schließlich zu einem niedrigen Kaufpreis überlassen hatte. Von den zeitraubenden, nervenzehrenden und teuren Renovierungsarbeiten, von der feierlichen Einweihung, die sie als den schönsten Tag in ihrem Leben bezeichnete. Von den Schwierigkeiten, gutes Personal zu bekommen, ihrer privaten Weiterbildung in Buchhaltung und davon, dass sie sich immer mehr zurLeiterin eines mittelständischen Betriebs entwickelte. »Aber im Herzen bin ich Altenpflegerin geblieben«, schloss sie ihre Ausführungen. »Machen wir uns nichts vor, viele Seniorenheime sind nur Verwahrstätten, Unternehmen, bei denen die Kosten-Nutzen-Rechnung an erster Stelle steht und für die die Bewohner nur Geldquellen sind, die so lange angezapft werden, bis sie versiegt sind. Aber ich stehe persönlich dafür, dass Eaglehurst anders ist und bleibt, ein lebenswerter Ort, an dem Menschen für Menschen da sind. Wie in einer großen Familie.«
Mrs White erzählte einige Anekdoten aus dem Alltag, die veranschaulichen sollten, wie familiär es in Eaglehurst zuging. Sie machten aber auch deutlich, wer das Sagen im Haus hatte: Mrs White. Sie übernahm Vater- und Mutterrolle zugleich, während dem Personal die Rolle der älteren, helfenden Geschwister zufiel. Die Bewohner von Eaglehurst waren die Kleinkinder, denen man mit liebevoller Herablassung begegnete. Diese Haltung hatte James schon bei seiner Ankunft gestört. Trotzdem war er beeindruckt von Mrs Whites Begeisterung für die Sache. Menschen, die ein Ziel haben, hatten ihn immer schon beeindruckt.
Sheila stellte noch ein paar praktische Fragen zu Themen wie Unterbringung, Tagesablauf, gesundheitliche Versorgung und Freizeitangebote, die Mrs White ausführlich beantwortete. Zum Schluss fragte Sheila, ob sie sich im Haus umschauen dürfe.
»Selbstverständlich, ich sage Miss Hunt Bescheid, sie wird Ihnen alles zeigen. Wenn Sie mögen, bleiben Sie zum Abendessen, es würde mich freuen.«
Sheila bedankte sich, und Mrs White drückte ihr zum Abschied die Hand.
James sah auf die Uhr. »Dr. Goat müsste eigentlich schon längst hier sein. Sie wollten ihn doch kennenlernen, Sheila?«
»Natürlich, aber was machen wir mit Miss Hunt? Sie dürfte schon auf dem Weg zu uns sein.«
»Kein Problem, für sie habe ich eine kleine Beschäftigung. Haben Sie die Dateien gefunden?«
»Ich denke schon. Ich habe alles kopiert.«
»Hat Sie jemand dabei gesehen?«
»Ein älterer Herr kam herein. Ich hatte mir schon eine Erklärung zurechtgelegt, aber er sah mich nur an, sagte ›Hallo, Mrs White, wie geht’s?‹, und marschierte gleich die Treppe rauf. Sagen Sie, James, sehe ich Mrs White irgendwie ähnlich?«
»Nein«, beeilte er sich zu versichern, »absolut nicht. Da dürfte es sich um ein visuelles Vorurteil gehandelt haben.«
»Um was?«
»Ein visuelles Vorurteil. Der Mann hat Mrs White beim Hereinkommen so oft dort sitzen sehen, dass sich ihr Bild selbst durch die aktuelle Information, die seine Sehnerven ans Gehirn schickten, nicht aus seinem Kopf vertreiben ließ.«
Sheila lachte. »Na ja, James, ich weiß nicht. Oder der Mann hatte seine Brille vergessen.«
»Auch möglich.«
Als Miss Hunt kam, reichte James ihr ein Rezept. »Würden Sie mir einen großen Gefallen tun, Miss Hunt, und mir mein Asthma-Spray aus der Apotheke besorgen? Ich weiß natürlich, dass es nicht zu Ihren Aufgaben gehört, Besorgungen zu machen, aber es ist wirklich dringend, ich habe mein altes Spray verloren. Und nachts brauche ich es unbedingt.«
Miss Hunt schenkte James ein
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