Null-Null-Siebzig - Operation Eaglehurst
hochgehen können, und Sie hätten es nicht gemerkt.«
Sie schaute ihn alarmiert an. »Habe ich etwa geschnarcht?«
»Nein, absolut nicht.« James hatte genug Lebenserfahrung,um zu wissen, wann es besser war, einer Frau die Wahrheit zu verheimlichen. »Hören Sie, Sheila. Ich muss noch einmal an den Laptop von Mrs White. Während Sie schliefen, hat Inspektor Ruthersford angerufen. Ich hatte doch etwas von dem Bildschirm abfotografiert. Der Bursche, der den Film entwickeln sollte, hat Mist gebaut und die Aufnahmen ruiniert. Ich muss also noch mal an den Computer, und ich möchte, dass Sie Mrs White so lange in Schach halten.«
»Und wenn Sie jemand sieht?«
»Dann lasse ich mir schon etwas einfallen.«
Sie erreichten den Salon. Sheila legte ihm die Hand auf den Arm. »Ich übernehme das, James. Mich kennt hier keiner. Wenn jemand fragt, behaupte ich, die neue Aushilfe zu sein.«
»Aber …«
»Achtung, da kommt sie schon.«
»Was darf ich für Sie bestellen?«, fragte Mrs White. »Einen Tee oder lieber etwas Erfrischendes?«
»Ein Wasser, bitte«, sagte James.
»Gerne. Und für Sie, Mrs Humphrey?«
»Für mich Tee, ohne Milch, nur mit Zucker, bitte«, sagte Sheila kaum hörbar und machte ein Leidensgesicht. »Ich habe mir den Magen verdorben, ein Tee wird guttun.«
»Sie fühlen sich nicht wohl?«, fragte Mrs White mitfühlend und wendete sich an James. »Haben Sie nicht einen Termin bei Dr. Goat? Da kann Mrs Humphrey doch gleich mitkommen.«
James blickte auf seine Armbanduhr. »Gewiss, in etwa zehn Minuten.«
»Entschuldigen Sie mich bitte kurz«, sagte Sheila und erhob sich, »wo finde ich die Toiletten?« Sie stand wie vor Schmerz gekrümmt und wirkte dabei sehr überzeugend.
»Gleich in der Halle«, sagte Mrs White.
»Die Arme«, seufzte James.
»Ja«, sagte Mrs White. »Hoffen wir, dass es ihr bald besser geht.«
Sie erhob sich, und James befürchtete schon, dass sie Sheila folgen würde, aber sie ging Richtung Küche, um die Getränke zu bestellen.
»Katie wird den Tee und das Wasser bringen«, sagte sie, als sie sich wieder hinsetzte. James konnte ihre Hände nicht sehen, aber er hörte, wie sie das Papiertaschentuch unter dem Tisch in kleine Fetzen riss.
»Gibt es heute eine besondere Veranstaltung?«, fragte er im Plauderton und deutete auf Miss Hunt und den Pfleger, die am anderen Ende des Raums damit beschäftigt waren, eine große Girlande an der Decke anzubringen. Mrs White nickte. »Ja, heute Abend findet der große Eaglehurst-Ball statt. Unsere Leutchen hier lieben ihn. Und Sie haben Glück, Mr Gerald, für heute Abend konnte ich Teddy Oaks verpflichten, einen ganz hervorragenden Elvis-Imitator.«
»Oh«, sagte James, »wie wunderbar.« Er entschied sich für einen Frontalangriff. »Mrs White, der Herr, der am Tag meiner Ankunft beim Bingo gestorben ist. Ich habe gehört, dass ihn viele für verrückt hielten. Sie auch?«
»Verrückt ist ein hartes Wort. Sagen wir – vergesslich.«
»Nein«, sagte James und ließ sie nicht aus den Augen, »ich denke, er war nicht einmal das. Er war so klar im Kopf wie Sie und ich, auch wenn man darüber, was er zuletzt als seine Lebensaufgabe betrachtete, geteilter Meinung sein kann, nicht wahr?«
»Was meinen Sie damit?«
»Wissen Sie das wirklich nicht?«
»Nein.«
»Wussten Sie nicht, dass er Medikamente zur Sterbehilfe vertrieben hat?«
Mrs White lachte auf. »Wie bitte? Das ist doch absurd. Mr Maddison war ein sehr liebenswürdiger, aber geistig verwirrter älterer Herr. Ich mochte ihn sehr, er war ein Gentleman der alten Schule. Und ich bedaure, dass er so früh von uns gegangen ist.« Sie machte eine Pause und suchte nach den richtigen Worten. »Mr Gerald, ich kann mir vorstellen, dass Sie sehr schockiert sind über das, was vorgestern passiert ist. Und es wäre nur zu verständlich, wenn Sie sich von den Spekulationen rund um diesen Vorfall haben anstecken lassen. Unglaublich, was ich alles schon zu hören bekommen habe! Es liegt zwar in der Natur der Sache, dass von Zeit zu Zeit einer unserer Bewohner von uns geht, das durchschnittliche Alter unserer Leutchen beträgt immerhin achtundsiebzig Jahre. Aber Mr Maddisons Tod beim Bingo war doch … sehr spektakulär, und viele werden noch wochenlang über nichts anderes reden und die wildesten Vermutungen anstellen. Die Menschen fühlen sich, das darf ich wohl sagen, bei uns gut umsorgt. Aber bei aller Mühe, die wir uns geben, es fehlt doch zuweilen die Abwechslung. Deshalb
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