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Nullpunkt

Nullpunkt

Titel: Nullpunkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lincoln Child
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in ein Video auf dem riesigen Bildschirm. Das Bild war verwackelt und verkratzt, doch die Szene dennoch sofort erkennbar: die
Hindenburg
, lichterloh in Flammen am Boden der Lakehurst Naval Air Station.
    «Ah, Allan», sagte der Regisseur. «Setzen Sie sich doch.»
    Fortnum kam herbei und setzte sich in einen der bequemen Polstersessel vor dem Bildschirm. «Wie geht es Ken?»
    Conti legte die Fingerspitzen zusammen. Er starrte unverwandtauf den Bildschirm. «Ich bin sicher, es geht ihm bald wieder gut.»
    «Das ist nicht das, was ich gehört habe. Er soll den Verstand verloren haben.»
    «Vorübergehend. Er hat einen üblen Schock erlitten. Das ist es auch, worüber ich mit Ihnen reden wollte.» Conti löste sich für einen Moment von dem alten
Wochenschau-
Bericht und blickte Fortnum an. «Wie kommen Sie voran?»
    Fortnum hatte angenommen, dass Conti mit ihm über Toussaint reden wollte. Stattdessen hatte er nun den Eindruck, als wollte der Boss über die Arbeit reden. Er sagte sich, dass das vermutlich normal war: Bei so mächtigen Regisseuren wie Conti kam die Arbeit stets an erster Stelle. «Ich habe ein halbes Dutzend guter Reaktionen auf die Nachricht von Peters’ Tod eingefangen. Ich bin gerade dabei, sie zu rendern.»
    «Sehr gut, sehr gut. Das ist ein ausgezeichneter Anfang.»
    Anfang?
Fortnum hatte eigentlich geglaubt, «Making of»-Aufnahmen gedreht zu haben, die ziemlich geschmacklosen finalen Einstellungen für eine Dokumentation
über
eine Dokumentation – eine Studie über ein Projekt, das auf tragische Weise gescheitert war.
    Das Bild auf dem Schirm wurde schwarz. Conti nahm eine Fernbedienung zur Hand, drückte eine Taste, und die
Wochenschau
begann von vorn: Die
Hindenburg
glitt feierlich zu ihrem Landemast, eine gigantische silberne Zigarre über den weiten Wiesen von New Jersey. Plötzlich schossen Flammen aus der Unterseite. Dunkle Rauchwolken stiegen himmelwärts. Der Zeppelin wurde langsamer, hing noch für einen schrecklichen Moment in der Luft, dann stürzte er dem Boden entgegen, während Feuer seine Hülle fraß und das Gerippe Stück für Stück sichtbar machte.
    Conti deutete auf den Bildschirm. «Sehen Sie sich das an. Die Bildeinstellung ist grauenvoll, die Bewegungen der Kamera sind abgehackt. Es ist überhaupt kein
mise en scene
zu erkennen – und doch sind es wahrscheinlich die unvergänglichsten Bilder, die je auf Zelluloid festgehalten wurden. Erscheint Ihnen das gerecht?»
    «Ich glaube nicht, dass ich Ihnen folgen kann», gestand Fortnum.
    Conti winkte. «Hier stehen wir, jahrein, jahraus, verfeinern unsere Technik, erschaffen immer subtilere, atemberaubendere Einstellungen, machen uns endlose Gedanken über die Beleuchtung und Einschübe und Rahmenhandlung. Und mit welchem Erfolg? Irgendjemand mit einer Boxkamera ist zufällig zur rechten Zeit am rechten Ort – und filmt in fünf Minuten etwas, das berühmter wird, als all unsere sorgfältig orchestrierten stundenlangen Filme zusammengenommen.»
    Fortnum zuckte die Schultern. «So ist das eben.»
    «Nicht unbedingt.» Conti fingerte an der Fernbedienung herum.
    «Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen.»
    «Es ist einfach so, dass das Schicksal dieses eine Mal vielleicht jemanden mit den richtigen Fähigkeiten und dem richtigen Werkzeug zur rechten Zeit an den rechten Ort versetzt hat.»
    Fortnum runzelte die Stirn. «Sie reden von diesem Ding, das Josh Peters zerfetzt hat. Diesem Ding, von dem Ken ständig fabuliert.»
    Conti nickte langsam.
    «Sie glauben diese Geschichte also? Sie denken nicht mehr, dass es Sabotage war?»
    «Sagen wir, ich halte mir meine Optionen offen. Und wennsich hier eine Gelegenheit ergeben sollte, so bin ich fest entschlossen, sie zu ergreifen. Wir wären Dummköpfe, würden wir das nicht tun.»
    Fortnum verschlug es die Sprache.
Er redet doch wohl nicht von … Nein. Natürlich nicht. Nicht einmal Conti ist kaltblütig genug für so etwas …
    Der Film endete, und Conti drückte auf seine Fernbedienung und startete ihn ein weiteres Mal. «James, lassen Sie mich Ihnen eine Frage stellen. Warum, glauben Sie, ist der Film über die
Hindenburg
so berühmt?»
    Fortnum dachte nach. «Es war eine gewaltige Tragödie. So etwas bekommt man nicht oft zu sehen.»
    «Ganz genau. Und Sie benutzen die richtigen Worte: So etwas bekommt man nicht oft zu sehen. Hat irgendjemand das Valentinstag-Massaker 1929 in Chicago gefilmt? Nein. Den Brand der Triangle Shirtwaist Fabrik in New York im Jahr 1911? Nein.

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