Nullpunkt
Filmleuten absah – mehr oder weniger die einzige Frau, die er in den vergangenen vier Monaten gesehen hatte. Bevor er dem Ingenieurkorps beigetreten war, hatte er einen Ruf als Frauenheld genossen. Tatsächlich war er vor einem wütenden Ehemann geflohen, als er sich bei der U. S. Army verpflichtet hatte. Er wusste, wie man die Röcke klarmachte. Und Davis’ persönliche Assistentin hatte ihr eigenes Quartier, wo sie sich von einer Gehirnerschütterung erholte. Er hatte definitiv das große Los gezogen – jetzt hatte er Ashleigh für sich allein. Sie hatte darum gebeten, in der Nähe der Soldaten untergebracht zu werden, um der zusätzlichen Sicherheit willen. Fluke hatte sich ausgemalt, wie er seinen Charme einsetzen würde, sein patentiertes Lächeln – und wenn das nicht reichte, ihr ein wenig Angst machen und die Gerüchte von diesem bösartigen Polarbären erzählen, der auf der Basis Amok lief. Auf die eine oder andere Weise – indem er ihr entweder Angst machte oder romantische Gefühle in ihr weckte – würde er einen Weg finden, sich in ihre Räume einladen zu lassen und ein wenig Zeit mit ihr zu verbringen. Vielleicht auch eine Menge mehr.
Es hatte nicht funktioniert. Die Davis hatte sich als unempfänglichgegenüber jeder Strategie erwiesen. Sie hatte geschwiegen, seine Annäherungsversuche ignoriert und sich geweigert, auf seine Andeutungen oder Suggestivfragen zu reagieren. Sie waren aus der Basis direkt zu ihrem Wohnwagen gegangen, wo er beinahe fünfzehn Minuten hatte warten müssen – draußen, in der Kälte –, während sie ein paar Dinge für ihre Übernachtung eingepackt hatte. Als er mit seiner Dienstpistole in der Hand auf den Stufen des Wohnwagens gestanden und an den blutigen, zerrissenen Leichnam von Josh Peters gedacht hatte, der keine hundert Meter von dieser Stelle entfernt gefunden worden war, war ihm bereits ein großer Teil seiner Inbrunst vergangen. Und wie um allem die Krone aufzusetzen, musste er die «paar Dinge» – drei Seesäcke voll!– ganz allein schleppen auf dem Rückweg in die Basis und den Südflügel.
Sie erreichten eine Kreuzung, und Fluke ließ die Seesäcke zu Boden gleiten.
«Was ist los?», fragte Ashleigh Davis sofort.
«Nichts, Ma’am», antwortete Fluke. «Ich muss mich nur ein wenig ausruhen.»
Ashleigh rümpfte verächtlich die Nase. «Wie weit ist es noch?»
«Noch zwei Minuten.» Der einzige geeignete Raum, den sie so kurzfristig hatten vorbereiten können, der Raum des diensthabenden Offiziers, befand sich ganz am anderen Ende der Ebene. Zu Anfang hatte sich Fluke darüber gefreut – mehr Gelegenheit zum Reden auf dem weiten Weg –, doch jetzt erschien ihm die Plackerei unerträglich.
Sein Funkgerät piepste, und er pflückte es von seinem Nylongürtel. «Fluke hier.»
«Fluke, hier spricht Gonzalez. Wie ist Ihr Status? Kommen.»
Fluke blickte auf die im Schatten liegenden Türen ringsum. «Wir sind vor dem Zentralen Abfang-Array», berichtete er.
«Melden Sie sich bei mir, sobald Sie Miss Davis untergebracht haben.»
«Roger.» Er befestigte das Funkgerät wieder am Gürtel und wuchtete die Seesäcke hoch. «Wir müssen hier nach links», sagte er.
Er führte Ashleigh durch die Sektion der Basis, in der die Truppenbetreuungseinrichtungen untergebracht waren: Sporthalle, Bücherei, Arzt und Zahnarzt. Die Räume waren in einem traurigen, verwahrlosten Zustand. Sie passierten die offene Tür zur Bücherei. Die langen, leeren Regalreihen bildeten schwarze Linien im eintönigen Grau. Fluke hatte bis jetzt geglaubt, dass er sich an die Stille bereits gewöhnt hatte. Doch an diesem Abend war sie bedrückender als sonst, beinahe spürbar. Er versuchte zu pfeifen, doch er traf nicht den richtigen Ton und gab seinen Versuch augenblicklich wieder auf.
Einen Schritt hinter ihm erschauerte Ashleigh Davis. «Es ist so dunkel hier.»
Also zerrt es auch an ihren Nerven
, dachte Fluke. Er beschloss, noch einen letzten Versuch zu unternehmen. «Dort vorn liegt das Krankenrevier», sagte er. «Unheimlich, nicht wahr, dass der Leichnam von diesem Peters verschwunden ist? Man fragt sich, wer oder was ihn weggenommen hat – und warum.»
Davis’ Antwort war, dass sie ihren Pelzmantel fester um die schmalen Schultern zog. Fluke öffnete den Mund, um ein paar weitere Angst einflößende Geschichten zu erzählen, doch dann entschied er sich dagegen. Wenn er sie zu sehr in Panik versetzte, würde sie wahrscheinlich darauf bestehen, zu den anderen
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