Nullzeit
Tür der Casa Raya klopfte, um Theo und Jola zum Essen abzuholen, wollte Jola nicht mitkommen. Sie behauptete, für den Nitrox-Schein lernen zu müssen. Sie schaute zur Seite und trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. Nichts zu machen. Ich konnte immer noch vor mir sehen, wie sie nach dem missglückten Tauchgang ein Stück abseits gestanden hatte, in ein Handtuch gewickelt, im Hintergrund das vulkanische Panorama. Sie fror erbärmlich und wirkte klein, als hätte die Kälte des Wassers sie schrumpfen lassen. Die Schultern hochgezogen, die Lippen blau, das nasse Haar klebte ihr an Wangen und Hals. Theo hatte ihr die Ausrüstung zum Wagen getragen und sah mit einem neuen, nachdenklichen Blick zu mir herüber.
Wir ließen Jola in der Casa Raya zurück. Während ich mit Theo über die Schotterpiste Richtung Tinajo rumpelte, machte ich mir Vorwürfe. Ich hätte Jola den schwierigen Einstieg bei Mala nicht zumuten dürfen. Ich hätte darauf bestehen sollen, wegen des schlechten Wetters einen Tag Pause einzulegen. Wenigstens hätte ich Jola von der Riffkante fernhalten müssen. Schließlich wusste ich, dass ihr, anders als Theo, das Grundvertrauen in den Schwebezustand fehlte. Und dass sie einen starken Willen besaß, der sie im Zweifel zu falschen Entscheidungen veranlasste. Wahrscheinlich hatte sie Angst vor der Riffkante bekommen und war genau deshalb darüber hinausgeschwommen. Das war nicht ihre Schuld. Die Einschätzung, wie viel ich den Kunden zumuten konnte, gehörte zu meinem Job. Irrte ich mich, lag die Verantwortung allein bei mir.
Manche Menschen gingen nach einer solchen Panikattacke nie wieder tauchen. Deshalb wäre es wichtig gewesen, sich noch ein wenig zusammenzusetzen. Gern hätte ich Jola gesagt, dass so etwas jedem passieren konnte. Ich kannte erfahrene Taucher, die eines Tages aus heiterem Himmel zu hyperventilieren anfingen. Wir hätten meine Theorie diskutieren können, dass es gerade Frauen schwerfiel, sich beim Tauchen sicher zu fühlen, weil sie, anders als Männer, ihr Leben nicht gern vom Funktionieren einer technischen Apparatur abhängig machten. Frauen wollten die Kontrolle behalten. Aus demselben Grund begegneten sie Autos, Computern und Flugzeugen mit Misstrauen. Vor allem wollte ich Jola sagen, dass sie eine gute Taucherin werden würde, bei Weitem gut genug für die Rolle der Lotte. Es war schwieriger, die Angst zu bezwingen, als keine Angst zu haben. Wir hätten so viel zu besprechen gehabt. Wenn sie mich nicht sehen wollte, bedeutete das wahrscheinlich, dass sie wütend war.
An dieser Stelle zwang ich mich, mit Grübeln aufzuhören. Es war nicht mein Stil, mich in andere Menschen hineinzudenken. Ich nahm ihr Verhalten hin und kam auf diese Weise gut mit ihnen aus. Jetzt ging es darum, das Vertrauen einer Tauchschülerin zurückzugewinnen. Ich hielt den Wagen am Straßenrand, bat Theo kurz um Entschuldigung und stieg aus. Während ich mich an einen Felsen stellte, als müsste ich pinkeln, holte ich das Handy aus der Tasche und schrieb: »Viel Erfolg beim Lernen. Wir denken an dich. S.« Weil ich selten SMS tippte, brauchte ich lang für die wenigen Worte. Die Antwort kam so prompt, dass ich erschrak. Sie war kurz und traf mich wie eine flache Hand, von der ich nicht wusste, ob sie ohrfeigte oder streichelte: »Es ist nicht deinetwegen. J.«
Giselle kochte eine einzigartige Fischsuppe. Ein Rezept ihrer französischen Urgroßmutter. Giselle war Frankokanadierin, ihr Mann kam aus dem Kongo. An den Wänden ihres kleinen Restaurants hingen afrikanische Masken neben Fotos der Notre-Dame de Québec. Wir waren die einzigen Gäste. Theo ließ mich reden, und ich redete wie aufgezogen. Eine Tauchergeschichte nach der anderen. Von Mantas, Delphinen und Walhaien. Vom Wrack, das ich nächste Woche betauchen und das mich in der Szene berühmt machen würde. Zwischendurch lobte ich Jolas und sein Talent und betonte, wie viel Spaß es mache, mit vernünftigen Leuten zu tauchen.
Er fragte: »Du findest uns vernünftig?«
Ansonsten schwieg er, lächelte nachdenklich und trank Apfelsaft. Nach dem Essen schlug er einen Spaziergang vor.
Für gewöhnlich waren die Straßen Tinajos lebhaft, aber an diesem Abend war es mit fünfzehn Grad ungewöhnlich kühl. Kaum eine Menschenseele ließ sich blicken. Theo ging mitten auf der Straße, schlenkerte mit den Armen und beobachtete seine Füße. Meine Anwesenheit schien er für den Moment vergessen zu haben. Auf dem Dorfplatz setzten wir uns auf eine
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