Nullzeit
stand auf und klopfte die Hose ab, als hätten wir im gröbsten Dreck gesessen.
»Was ich eigentlich sagen will: Ich habe kein Problem damit, wenn du scharf auf Jola bist. Ich rate dir nur, vorsichtig zu sein. Momentan weiß ich nicht, was sie plant. Aber irgendetwas plant sie mit Sicherheit. Solche Aktionen wie die heute beim Tauchen sind typisch für sie.«
Ich verbarg mein Lächeln hinter einem Gähnen. Typisch war vor allem die Logik des Kriegsgebiets: Hinter jedem Verhalten steckte ein dunkler Plan. Man stellte eine Menge Fragen und erhielt zur Strafe Antworten dafür. Theo nieste dreimal und zündete sich auf dem Weg zum Auto eine weitere Zigarette an.
»Scheiße«, sagte er. »Hab mir gestern an der Klippe wohl was eingefangen.«
Durch die geschlossenen Läden der Casa Raya drang Licht. Anscheinend saß Jola noch über ihren Nitrox-Unterlagen. Theo und ich verabschiedeten uns herzlich voneinander. Ich mochte ihn. Er war misstrauisch, aber dafür konnte er nichts. Alle Bewohner des Kriegsgebiets waren so. Misstrauen war eine natürliche Folge ihres Lebensstils. Ich fühlte mich zufrieden. Im Verlauf unseres Gesprächs war mir klar geworden, dass wir alle drei während der verbleibenden Zeit gut miteinander auskommen würden. Ich würde eine Menge Geld verdienen, sie würden tauchen lernen und nebenbei vielleicht sogar ihre Beziehung normalisieren. Sie wären nicht die Ersten, die unter Wasser begriffen, worauf es ankam.
Antje stand im Flur und sah aus, als hätte sie den halben Abend auf mich gewartet. Ich fasste ihre Schultern, während ich sie auf die Stirn küsste, damit sie sich nicht an mich klammern konnte.
»Wie war’s?«, fragte sie.
»Nett«, sagte ich. »Wirklich sehr nett.«
»Trinken wir noch ein Glas?«
»Lieber nicht.«
»Nur eine halbe Stunde. Wir sollten etwas besprechen.«
»Das war ein anstrengender Tag.«
»Es ist doch erst zehn!«
Sie wusste genau, dass ich es hasste, nach zehn Uhr ins Bett zu gehen. Ich brauchte das Gefühl, zwei Stunden wach liegen zu können und trotzdem noch sechs Stunden Schlaf vor mir zu haben. War Mitternacht erst einmal überschritten, bekam ich vor Ärger darüber, nicht einschlafen zu können, kein Auge mehr zu.
»Bitte«, sagte Antje. »Nur eine Viertelstunde. Bitte!«
Ich hatte Antje schon vor ihrer Geburt gekannt. Bergers lebten zwei Straßen weiter. Antjes künftiger Vater kam an den Wochenenden zum Rasenmähen, die Mutter putzte donnerstags unser Bad. Ich war fast zehn, als der Bauch von Frau Berger zu wachsen begann. Von da an sah ich durchs Schlüsselloch, wenn sie putzte. Bis sie eines Tages nicht mehr kam. Ein paar Wochen später stand ein Kinderwagen im Schatten der Linde, während Antjes Vater mit dem Rasenmäher ums Haus fuhr. Mein Interesse für den ehemaligen Inhalt von Frau Bergers Bauch erlosch.
Mit dreizehn fing ich an, meine Eltern um einen Hund zu bitten. Aus dem Bitten wurde Flehen. Ich war unglücklich verliebt, nicht besonders sportlich, und brauchte dringend einen Freund. Meine Eltern wehrten sich erbittert. Sie behaupteten, dass ich binnen kürzester Zeit das Interesse an einem Hund verlieren und dann ihnen die Arbeit aufhalsen würde. Ich schwor, dass sie mir unrecht taten.
Zum vierzehnten Geburtstag bekam ich Todd, einen braunen Cockerspaniel mit sanften Augen und langen Ohren. Wir waren unzertrennlich. Dreimal täglich ging ich mit ihm spazieren. Niemand außer mir durfte ihn füttern. Einmal nahm ich ihn mit in die Schule, wo er der Schwarm aller Mädchen wurde und mich für einen Tag zum beliebtesten Jungen der Klasse machte.
Zwei Jahre später ging ich mit Mareike und wusste nicht mehr, wozu ich einen Hund gebraucht hatte. Todd war süß, treu ergeben und lästig. Weil ich meinen Eltern den Triumph nicht gönnte, biss ich die Zähne zusammen und absolvierte weiterhin Pflichtspaziergänge, die Tag für Tag kürzer wurden. Wie einen Gegenstand zerrte ich Todd einmal um den Block und warf ihn anschließend aus meinem Zimmer, wo er die ersten beiden Jahre seines Lebens zufrieden zu meinen Füßen geschlafen hatte. Er sah mich traurig, aber ohne Vorwurf an. Mit meinem schlechten Gewissen wuchs der Hass.
Die Rettung erschien in Gestalt der kleinen Antje, die eines Tages vor der Tür stand und fragte, ob sie mit Todd Gassi gehen dürfe. Von diesem Augenblick an war Todd der glücklichste Hund der Welt. Er liebte Antje, und Antje liebte ihn. Sie verbrachten ganze Nachmittage im Stadtwald. Als Antje etwas älter war, fuhren
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