Nullzeit
ebenfalls ein Zimmer. Es gibt nichts, was diese drei Männer miteinander verbindet - von der Tatsache abgesehen, daß sie alle am Abend des 18. ankamen und am Morgen des 20. abreisten, also heute früh am Morgen. Es ist nur so, daß das Hotel sonst fast leer ist zu dieser Zeit …«
Grelle dankte ihm für seine Mitarbeit und legte auf.
»Es ist möglich, daß im Elsaß irgendein Mörderteam am Werk ist«, sagte er zu Boisseau.
»Das ist alles reine Theorie, aber wenn sie zutrifft, wer zum Teufel könnten die drei sein?«
»Wahrscheinlich haben nur Lasalle und dieser Engländer, Lennox, die Liste in Besitz«, betonte Boisseau. »Und Lasalle wird doch nicht seine eigenen Zeugen ausradieren? Das ergäbe keinen Sinn. Es gibt nur eins, was einen Sinn ergibt: wenn nämlich irgendein vom Leoparden Beauftragter sich der Zeugen angenommen hat …«
»Aber der Leopard kann die Liste nicht haben …«
Grelle verstummte, und die beiden Männer starrten sich schweigend an. Eine Stunde später war der unermüdliche Dorre wieder am Apparat. Er arbeite eng mit seinen Kollegen in Straßburg zusammen, erklärte er, und auf seinen Vorschlag hin habe Rochat begonnen, sämtliche Hotels der Stadt zu checken. Man sei schon bald auf die Namen Duval, Bonnard und Lambert gestoßen. Die beiden ersteren hätten die Nacht des 17. Dezember im Hotel Sofitel verbracht, während Lambert im Terminus übernachtet habe. Und Léon Jouvel habe sich am Abend des 18. Dezember erhängt.
»Also«, hob Dorré hervor, »diese selben drei Männer - und die Beschreibungen passen wieder, wenn auch vage - sind spät am Abend des 18. nach Colmar gefahren und waren in der Stadt, als Robert Philip starb. Wie lange darf man an Zufälle glauben, ohne sich lächerlich zu machen?«
»Das ist es!« brach Grelle aus.
»Wenn Ihre Beschreibungen der drei Männer erst einmal hier sind, werde ich sie an alle Polizeistellen in Frankreich weitergeben - und wir haben ihre Namen. Ich wünsche, daß dieses Trio festgenommen und vernommen wird, sobald es wieder auftaucht …«
Am Abend des 20. Dezember war es in Freiburg schon dunkel. Dieter Wohl stand in seinem dunklen Schlafzimmer und sah durch die Vorhänge nach draußen. Wohl fühlte sich in der Dunkelheit zu Hause. Das war vielleicht ein Relikt seiner Zeit im Krieg, als er so oft die Aufgabe gehabt hatte, ein verdächtiges Haus von einem dunklen Zimmer aus zu beobachten. Wohl war kein nervöser Mann, obwohl er allein in diesem zweistöckigen Haus drei Kilometer außerhalb Freiburgs an einer wenig befahrenen Straße lebte. Im Augenblick aber war er verwirrt. Warum hatte ein Wagen kurz vor seinem Haus angehalten? Warum blieb er um diese Zeit so lange dort stehen?
Über Nacht hatte es einen Wetterumschwung gegeben; der Schnee war geschmolzen, die Temperatur gestiegen, und jetzt zeigten sich am Himmel Wolkenfetzen, durch die der Mond hindurchschien und die einsame Landstraße und die Bäume auf den Feldern dahinter erleuchtete. Die meisten Menschen hätten den Wagen gar nicht gehört, aber der Ex-Polizist Wohl - er war nach dem Krieg zur Polizei gegangen - hatte das Gehör einer Katze. Ein schwarzer Mercedes 230 SL, wie er im Mondschein erkannte. Eine schattenhafte Gestalt saß hinter dem Lenkrad, während die beiden Mitfahrer ausgestiegen waren und vorgaben, den Motor zu untersuchen. Warum kam ihm das Wort ›vorgaben‹ in den Sinn? Obwohl sie die Motorhaube geöffnet hatten, behielten sie das Haus im Auge und sahen sich um, als sondierten sie die Gegend. Ihre Blicke waren gleichgültig - so gleichgültig, daß vermutlich nur ein aufmerksamer Beobachter wie Wohl sie bemerkte.
»Meine Fantasie geht mit mir durch«, murmelte er. Unter ihm auf der Straße ging einer der Männer vom Wagen weg und ging auf ein Feld vor dem Haus. Seine Hand fummelte am Reißverschluß der Hose. Der muß nur mal pinkeln, entschied Wohl. Er verließ das Schlafzimmer an der Vorderseite des Hauses. Er bewegte sich noch immer im Dunkeln. Jetzt betrat er das Schlafzimmer an der Seite des Hauses, in dem die Vorhänge nicht zugezogen waren; er hielt sich im Hintergrund des Zimmers und beobachtete den Mann, der jetzt an einer Hecke stand und sich erleichterte. Es schien alles völlig harmlos zu sein, abgesehen davon, daß der Mann ständig auf den Garten hinterm Haus blickte und die Seite des Hauses in Augenschein nahm.
Wohl hielt sich im Schatten versteckt, bis der Mann fertig war und wieder zum Wagen ging. Einen Augenblick
Weitere Kostenlose Bücher