Nullzeit
Zeitpunkt seines Staatsbesuchs - der 23. Dezember- ist mit Sorgfalt gewählt worden. Die Regierungen des Westens werden über Weihnachten Urlaub machen. Die Minister werden also nicht an ihren Schreibtischen sitzen und können folglich nicht schnell reagieren …«
»Aber wohin werden die Truppen marschieren?« beharrte Suslov.
»An den Rhein, zur Grenze nach Deutschland, natürlich! Wenn Bundeskanzler Franz Hauser am 24. aufsteht und sich auf den Heiligen Abend freut, wird er entdecken, daß sowjetische Truppen an der Ostgrenze - und an der Westgrenze der Bundesrepublik stehen! Ganz Westeuropa wird uns zufallen - einschließlich des Industriezentrums an der Ruhr -, und damit werden wir in der Lage sein, jede Konfrontation mit China zu gewinnen …«
TEIL DREI
Der Polizeipräfekt von Paris
22. und 23. Dezember
15
Jeder erfahrene Polizeibeamte weiß, wie das ist: Man riegelt ein bestimmtes Gebiet ab, errichtet Straßensperren, und in drei von vier Fällen kommt man zu spät. Gruber ließ einen Sicherheitskordon ziehen, fing aber nichts als aufgebrachte Pkw- und Lastwagenfahrer. Den Mercedes, der in Kehl gemietet worden war, fand man eine Woche später in einem Gebüsch am Rand des Schwarzwalds. Vier der sechs Polizisten, die bei der Explosion des Tankwagens von ihrem Mannschaftswagen abgesprungen waren, hatten Glück gehabt; die Wucht der Explosion war hauptsächlich auf die andere Seite gegangen, auf das offene Feld zu. Die beiden anderen Männer waren schwer verletzt worden; einer hatte Verbrennungen dritten Grades erlitten, die später eine Nachbehandlung mit plastischer Chirurgie notwendig machten. Der Fahrer des Tankwagens war in den Dämpfen erstickt, die seine Fahrerkabine erreicht hatten, bevor er sich in Sicherheit bringen konnte.
Lanz und Gruber durchsuchten Wohls Haus. Sie suchten nach dem Kriegstagebuch, das Lennox gesehen hatte. Sie fanden aber weder eine Spur des Tagebuchs noch des Manuskripts. Brunners Leiche wurde ins Leichenschauhaus gebracht. Die Untersuchung seiner Kleidung und des Inhalts seiner Taschen ergab keinerlei Anhaltspunkte. Brunner hatte eine große Summe Geldes bei sich gehabt - zweitausend DMark - und einen französischen Reisepaß, der auf den Namen Emile Bonnard ausgestellt war.
»Der sich zweifellos als gefälscht erweisen wird«, bemerkte Gruber. Sein Hut war ein deutsches Fabrikat und unter seinem deutschen Mantel trug Brunner einen französischen Anzug sowie französische Unterwäsche. Davon abgesehen gab es kaum etwas, womit hätte bewiesen werden können, wer er war - bis die ersten Ergebnisse der Obduktion vorlagen.
»Mein Kollege hat etwas Interessantes entdeckt«, sagte der Gerichtsmediziner zu Gruber, der mit dem BND-Vize und Lennox in einem Hotelzimmer zu Abend aß.
»Er ist Zahntechniker und ist der Ansicht, daß die Zahnfüllungen und Kronen des Toten mit Sicherheit aus Osteuropa stammen - wahrscheinlich aus der Sowjetunion …«
Lanz rief Marc Grelle direkt vom Polizeipräsidium in Freiburg aus an. Ein Gespräch dieser Art hätte eigentlich an die Sûreté gerichtet werden müssen, aber Lanz kannte Grelle gut und vertraute auf seine Diskretion. Den Generaldirektor der Sûreté, den Vorgesetzten Kommissar Suchets, mochte er nicht; er traute ihm auch nicht. Wie Lanz Grelle erklärte, habe er zwei Gründe, ihn von dieser Entwicklung der Dinge zu informieren. Der Attentäter, den Lennox erschossen hatte - Lanz erwähnte den Engländer aber mit keinem Wort -, habe französische Papiere auf den Namen Emile Bonnard bei sich gehabt. Außerdem - und auch hier wählte Lanz eine vorsichtige Formulierung - habe er Grund zu der Annahme, daß das Kommando vor kurzem aus Frankreich gekommen und inzwischen sehr wohl wieder nach Frankreich zurückgereist sei…
»Sie haben handfeste Gründe für die Annahme, daß hier ein Killerkommando auf Befehl der Sowjets am Werk ist?« fragte Grelle.
»Ja«, erwiderte Lanz fest. »Ohne ins Detail zu gehen: Ich bin davon überzeugt. Vielleicht wäre es nützlich, wenn wir beide in Verbindung bleiben …«
Grelle hatte gerade aufgelegt, als Boisseau mit einer Routinemeldung zu ihm ins Büro kam. »Lesage hat gerade angerufen. Dieser algerische Terrorist, Abou Benefeika, hockt noch immer in diesem verlassenen Gebäude im Goutte d’Or. Noch keinerlei Anzeichen dafür, daß seine Kumpels ihn besuchen kommen. Sollen wir ihn weiter schmoren lassen?«
»Lassen Sie ihn weiter beobachten …« Grelle biß in das
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